laut.de-Kritik

Lange klang es nicht mehr so spaßig, jung und dumm zu sein.

Review von

Olivia Rodrigo stellt nicht die erste Teenagerin dar, die über Nacht zum Weltstar wurde, geschweige denn die erste Disney-Schauspielerin. Während sich die Welt im Frühjahr 2021 kollektiv wieder in die eigenen vier Wände zurückzog, bretterte die damals 18-Jährige mit dem noch ofenwarmen Führerschein in der Tasche mit Vollgas auf die Chartspitze zu und räumte im Nachgang eben mal drei Grammys ab. Was Rodrigo jedoch von Sängerinnen wie Ariana Grande oder Selena Gomez unterscheidet, ist die Authentizität und Aufrichtigkeit, mit der sie diese Phase in ihrem Leben musikalisch navigiert.

Wo sich die Musik ihrer Vorreiterinnen nach einer Jugend am Reißbrett anhört, nach dem, was sich die Männer hinter der Musik als die Realität einer adoleszenten Frau vorstellen, so klang Rodrigos Debüt "SOUR" nach genuiner Teenage Angst. Nicht umsonst implementierte die Kalifornierin Elemente aus Pop-Punk und Rock, Genres, die seit jeher erprobt darin sind, dem von Nervosität und Selbstzweifel zerfressenen Lebensgefühl pickliger Jugendlicher eine Stimme zu geben. Das Teenagertum, das Rodrigo besingt, hat nichts mit der glamourisierten Version zu tun, die ihre Disney-Vergangenheit uns vorgaukelt, sondern fühlt sich greifbar an, weil es nicht nur von der Person gelebte wurde, die hinter dem Mikrofon steht.

Mit "GUTS" befindet sich Rodrigo nun in einer anderen Phase in ihrem Leben. Sie blickt auf nunmehr zwei Jahre Erfahrung als Weltstar zurück und steht mit zwanzig endgültig an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt. Beides kommt ihrem Zweitling ultimativ zugute. "Ich fühle mich, als wäre ich zehn Jahre zwischen 18 und 20 gealtert", verrät sie in einem Interview und diese Reife hört man.

Nicht nur schreibt Rodrigo aus einer deutlich selbstbewussteren und reflektierteren Perspektive, sowohl bezüglich ihres Status’ in der Öffentlichkeit als auch ihrer privaten Miseren, sie kanalisiert auch die Angst und die Wut, aber auch die Freiheit, die diesen letzten Tagen der Adoleszenz innewohnt mit musikalischer Bravour. "I know my age and I act like it", heißt es im Opener, selten war dieses Statement wahrer und selten war das ein größeres Kompliment als hier.

Trug "SOUR" den Einfluss ihrer Indie-Vorbilder auf dem Herzen, so dominiert hier Rodrigos Vorliebe für Punk, Rock und Grunge. “GUTS" dreht die Gitarren auf, und verdrängt Querverweise an Phoebe Bridgers oder Clairo für Referenzen an Hole, Avril Lavigne oder Bikini Kill. Schon der Opener "All American Bitch" führt einen mit seinen gezupften, glanzvollen Gitarren-Akkorden hinters Licht, ehe Rodrigo für die Hook ihre innere Courtney Love erweckt und sich mit ordentlich Wut im Bauch am amerikanischen Schönheitsideal abarbeitet. "Pretty Isn't Pretty" trumpft nicht nur mit einer der besten Hooks der LP, sondern auch mit einem wunderschön verwaschenen Riff, das Erinnerungen an die Smashing Pumpkins weckt.

"Ballad Of A Homeschooled Girl" setzt die Social Anxiety im Kern des Songs mit jaulenden Punk-Riffs und einem vokalen Ausraster in der Hook um, "Get Him Back!" kontrastiert gedämpften Sprechgesang mit einem anthemischen Power Pop-Chorus, in dem gleichermaßen die frühe P!nk als auch ihre Vergangenheit in “High School Musical” nachhallt. Suhlte sich ihr Debüt größtenteils noch in der Melancholie und dem Herzschmerz einer jugendlichen Liebe, so zelebriert Rodrigo mit ihrem zweiten Album auch zu gleichen Teilen ihre adoleszente Naivität. Lange klang es nicht mehr so spaßig, jung und dumm zu sein.

Und das nicht nur, weil Rodrigo dieses Gefühl musikalisch mit Killer-Hooks und Gänsehaut-Crescendos umzusetzen vermag, mit steigendem Alter erkennt sie auch den Humor an dem Drama, das ihr Leben durchzieht. "Everything I do is tragic, every boy I like is gay" singt sie etwa auf "Ballad Of A Homeschooled Girl" mit einer Bedeutungschwere als würde sie das größte Kreuz auf dem Abschlussball tragen. "Thought your mom was your wife, called you the wrong name twice": Die Fauxpas auf einer Party, die sie zuvor schildert, sind vollkommen banal, bedeuten aber in dem Moment nichts Geringeres als den bevorstehenden Weltuntergang, weil Rodrigo es mit der überanalysierenden Angst verkauft, die man nur fühlt, wenn man um vier Uhr Nachts schlaflos die Decke anstarrt.

Die Verses auf "Bad Idea Right?" lesen sich wie der innere Monolog einer betrunkenen Teenagerin, wie das Skript einer guten, falschen Entscheidung: "And I pull up to your place, on the second floor / And you're standing smiling at the door / And I'm sure I've seen much hotter men / But I really can't remember when." Rodrigo ertränkt ihre Zweifel, ob es wirklich eine gute Idee ist, mir ihrem Ex in die Kiste zu springen, mit "blablas" und einem Chorus aus donnernden Gitarren, ehe sie schulterzuckend resümiert "fuck it, it's fine." An den nächsten Morgen ist in dem Moment gar nicht zu denken, weder für Rodrigo noch für uns. Das Gitarrensolo am Ende flüstert uns 'Scheiß auf die Konsequenzen' ins Ohr: Ein Song wie eine nackte Arschbombe im Pool der Nachbarn.

Ihre Liebschaften finden jedoch auch wieder andere, weniger sorglose Wege in die Tracklist. Olivia hat es schließlich keineswegs verlernt, die leisen Töne anzuschlagen, auch ihre Liebe für Lorde bleibt auf dieser LP omnipräsent. Anstatt jedoch einfach zum x-ten mal “Drivers License” neu aufzulegen, findet sie zusammen mit Daniel Nigro aufregende neue Wege, ihr Songwriting weiterzuentwickeln. Die Lead-Single "Vampire", auf der die Amerikanerin schonungslos mit ihrem Ex-Freund abrechnet, zieht schon nach einem Chorus das Tempo an und schaukelt sich mit steigender Wut zu einer Rock-Bridge hoch, die den finalen Schlag auf den Holzpflock im Herzen ihres Loves setzt: "You said it was true love, but wouldn't that be hard, you can't love anyone, cause that would mean you head a heart".

"Lacy" schlägt mit seiner einsamen akustischen Gitarre und Rodrigos eifersüchtigem Flüstern eine fast schon folkige Tönung ein, während das großartige "Making The Bed" auf dem sich Rodrigo mit ihrer neuen Rolle als Superstar auseinandersetzt, sich immer in verwaschenen Gitarren verliert, ehe es in einem regelrechten Shoegaze-Crescendo explodiert. Einzig auf dem eher sterilen "Logical" scheitert die 20-Jährige daran, ihrer altbewährten Formel neue Reize zu entlocken und bremst den sonst makellosen Flow der LP mit einem etwas nichtssagenden Love-Song aus.

"Where's my fucking teenage dream?" fragte Olivia Rodrigo noch bissig auf ihrem Debüt. Auf "GUTS" entpuppt sich dieser Traum endgültig als unerreichbar. Der Zweitling der Kalifornierin ist ein Rückblick auf die eigene Jugend, mit all ihren Ecken und Kanten, all ihren Hochs und Tiefs. Ein Liebesbrief, dessen Abschied bittersüß schmeckt. Der Closer entlarvt Katy Perrys "Teenage Dream" als Lüge. "Got your whole life ahead of you, you're only 19. But I fear they already got the best parts of me", singt Rodrigo fast schon anklagend.

Ganz im Stil ihrer besten Balladen wühlt sie sich im Selbstzweifel, ehe ihre überkochenden Emotionen auf das Instrumental überstrahlen und in einer Kaskade aus stolpernden Drums und schneidenden Vocals explodieren. "They all say that it gets better, it gets better the more you grow": Das Finale krallt sich mit allergrößter Kraft ein letztes Mal an der juvenilen Freiheit fest, die Rodrigos Schaffen durchströmt, ehe das große Ungewisse die Oberhand übernimmt. Die letzten Worte hallen um so lauter nach, je mehr die eigene Jugend zur Erinnerung verkommt: "But what if I don't".

Trackliste

  1. 1. All American Bitch
  2. 2. Bad Idea Right?
  3. 3. Vampire
  4. 4. Lacy
  5. 5. Ballad For A Homeschooled Girl
  6. 6. Making The Bed
  7. 7. Logical
  8. 8. Get Him Back!
  9. 9. Love Is Embarrassing
  10. 10. The Grudge
  11. 11. Pretty Isn't Pretty
  12. 12. Teenage Dream

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11 Kommentare mit 5 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Verstehe den Hype um Olivia leider nicht. Ein paar Songs sind ja gute Ohrwürmer und man hört sie gern wenn sie mal auf ner random Spotify-Playlist auftauchen, aber insgesamt sind mir ihre Albem zu... unspektakulär? Zu gewollt? Zu verbissen? Bin eh schon enttäuscht, seit klar wurde, dass einer ihrer Songs aus dem vorherigen Album halb von einem Paramore-Song geklaut war.
    Die Songs verschwimmen ineinander und das ist für meinen Geschmack immer kein so gutes Zeichen. Dass das meiste auch nicht mal aus ihrer eigenen Feder stammt macht leider nix besser.
    Ich bin da eher passionierter Hörer ihres (anscheinend) besten Freundes Conan Gray. In seinen Songs steckt er selbst, seine Erfahrungen, sein Können und das hört man auch einfach.

    2,5/5

  • Vor einem Jahr

    Hab echt reingehört, weil ich dachte, vielleicht lohnt es sich ja. Aber sorry, abgesehen vom Inhalt der Texte und der Stimme von Sängerin geht das gar nicht. Die Instrumentale haben so viele Elemente drin, von denen ich gehofft hatte, dass die nicht mehr wiederkommen. Nachdem ich in alle Songs reingehört habe bin ich konsterniert. Immerhin hatte ich keinen Leerlauf, als ich auf die Bahn warten musste.