laut.de-Kritik
Fünfkomponenten-Diät auf dem Weg zum richtig großen Pop.
Review von Katja ScherleOrange Blue sind immer noch zwei schöne Buben, die sich selbst leidenschaftlich dem Produzieren schöner Musik verschrieben haben. Doch mittlerweile pflegen sie dies bei einer anderen Plattenfirma zu tun. Ihrem 2001er Zweitling "Songs of Liberty" attestierte man ein "zu starres Arrangement-Korsett", auch die drei Jahre jüngere "Panta Rhei" kam nur mit dem Hauptattribut überproduziert weg.
Die Einschätzung, ob nun mit "Superstar" und neuem Team an den Reglern ganz andere und bessere Zeiten anbrechen, bleibt ambivalent. "Superstar" pendelt – fast wirkt es gewollt – zwischen zwei Typen von Balladen hin und her. Es gibt solche, die wunderschön sind, die sich aber hauptsächlich als Schlussthema für einen Disney-Film (schon geschehen) oder Anfangsmelodie einer Nachmittags-Talkshow (kennt man auch) eignen. In diese Kerbe schlägt schon der Einstiegstrack "It’s My Life". Dieser wird, mit einem bedeutungsvollen Titel eingeleitet, in dem ein coldplay-artiges Gitarrenintro erklingt. Im weiteren Verlauf sinkt die Originalitätsquote noch weiter: Ein leicht klimperndes Klavier im Hintergrund, bemüht tiefer , in der Bridge gedoppelter Gesang Volkan Baydars und ein Songtext, der Weisheiten wie "We have just one chance" zutage fördert.
Beim großen Vormittagsdudel-Familientreff wären mit Sicherheit auch folgende Tracks gern gesehene Gäste: "So Beautiful", "If You Love Me", "My Home" und allen voran die Singleauskopplung "Love And Fear". Hier ist es durchaus legitim, einfach so gleich vier Lieder auf einmal abzukanzeln, denn alle fußen auf dem gleichen erprobten Konzept: Man nehme einen gewöhnlichen Midtempo- oder R'n'B-Balladen-Rhythmus, der einen nicht erst bei Orange Blue tausendmal unberührt lässt, Chorgesänge, die wohl Bedeutsamkeit suggerieren sollen, Chimeklänge und – ohne geht’s wohl nicht – Klavier.
Und ob ich dann schon wanderte durch diese finsteren Täler, erscheinen mir doch zwischendrin immer wieder leuchtende Schmachtfetzengipfel, die das Herz des Pathosjunkies (ich bekenne!) erfreuen. So umsäuselt mich nach dem faden Start "You’re All I Need". Hier klingt der Rhythmus nicht so dröge wie bei seinen Brüdern. Die Melodie strömt nicht gemächlich und selbstgefällig vorsehbar bis zur unvermeidlichen Bridge, sondern überrascht mit unvermuteten Noten um die nächste Taktecke. Und doch strotzt der Song von Pathos, fast könnte man sich dazu albern kostümierte Musicalinterpreten vorstellen. Positiv, dass hier die rutschige und glatt gewienerte Produktion fehlt. So bleibt der Track zwar eingängig und gefällig, aber nicht gar so vergessbar. Ebensolches Potenzial berge ich sechs Lieder weiter bei "I Am Not Afraid". Gitarre, Klavier, gefällige Bridges in Moll und die üblichen, aber dafür nicht minder schönen Stakkato-Flöten, wie man sie von großen Balladen-Klassikern her kennt, gefallen durchaus. Nachbar "Here Again" erinnert in seinem Klavier-Intro an Lunas weihnachtlichen Einkaufsgassenhauer "Hijo De La Luna" und legt somit die Marschroute fest: große Popballade. Hier ein Tamburin, dort ein Klatschen, dann ein Schnipsen im langsamen Rhythmus und schon mauern dramatische Streicher die Treppe zum Moll-Refrain.
Mit den letzten Takten des Albums möchte man Orange Blue dann mit einem gut gemeinten Schulterklopfer raten: Jungs, lasst ma' stecken: Erstens die Chorgesänge, zweitens die Chimes, drittens das Rhythmusprogramm eures Producers, viertens die nölende Lebensmoral in jedem Songtext und last but not least: den Anspruch, jede gute Songidee so lang zu schleifen, bis sie sofort in jede noch so anspruchslose Ohrmuschel flutscht. Dann könntet ihr richtig großen Pop machen, ihr dürft auch schnulzig sein.
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