laut.de-Kritik
Metal zwischen Stahlbad und orientalischer Exotik.
Review von Ulf KubankeSchon "Mabool" strotzte vor Kreativität und exotischem Flair - kommt nun das lang ersehnte Meisterwerk der israelischen Ausnahmemetaller? Um es kurz zu machen: Ja! "The Never Ending Way Of ORWarriOR" funkelt nicht nur als reine Genre-Perle, sondern schimmert mystisch, bunt, exotisch und in Teilen (herrlich) erschreckend brutal.
"Or" bedeuted im Hebräischen "das Licht". Das Wortspiel im CD-Titel deutet es an: Der Nahe Osten ist erneut das Thema dieser im sinfonischen Sinne komplexen Komposition. Und dort bräuchte es bekanntermaßen schon seit längerem einen Lichtbringer - eine Art Aragorn - der die Scharfmacher und Opportunisten aller drei abrahamitischen Religionen gefälligst zum Teufel jage.
Für letzteres konnte es keinen besseren geben als den Hauptsongwriter und Leadsänger der Dünensöhne, Kobi Farhi. In drei Sprachen - hebräisch, arabisch und englisch - hält er jenen, die es verdienen, einen hässlichen Spiegel vor und bricht gleichzeitig in poetischen Zeilen eine Lanze für Toleranz, Frieden und keimende Freundschaft.
Die splatternde Verrohung in den Lyrics, die sich so manche nordische Extrem-Metal-Band mühsam mit drogenbedingter Retardierung oder einem munteren Cocktail aus Persönlichkeitsstörungen erarbeiten musste, ist für die Orphaned-Member eine zeitlebens erfahrene Realität: Die Heimat und das eigene Leben mitunter als wahr gewordener Alptraum der Hölle an einem himmlischen Ort.
Eben diese Zerrissenheit und Verwundetheit bei gleichzeitiger Zuversicht und Unverzagtheit reflektiert sich nahezu ununterbrochen in den faszinierenden Klängen der Tel Aviver. Die gewohnt typisch präsente Seite orientalischer Folkelemente aus jüdisch-arabischen Fragmenten steht bei Farhi deshalb ganz selbstverständlich für alle paradiesisch harmonischen Facetten des heiligen Landes.
Damit haben sie einen unschätzbaren Vorteil vor vielen europäischen Metalfolkies. Die heimatlichen Schlangenbeschwörer- und Bauchtanzklänge fließen hier nämlich so natürlich und unverkrampft in die Kompositionen ein wie Kokospalmenöl. Auch die entspannt lockenden bis machtvoll dominanten jemenitischen Töne einer magischen Charakterstimme, nämlich der betörend weiblichen Orphaned-Kleopatra: Shlomit Levi, finden ihren Platz im Haus der Israelis.
Das Schwermetal hingegen bekommt zwei gänzlich andere Rollen in der Geschichte zugewiesen. Zum stützen sie als stolze Kriegerklinge die zarten Wüstenmelodien. Da darf es dann gern auch mal einen ausufernden Schlagabtausch zwischen Prog-Tönen und einem selten erlebten, majestätisch-unkitschigem Symphonic Metal geben. Der nachhallende Aufruf zur Vernunft!
Die blutige Fratze aus Terror, Trauer, Tod und Gier gibt sich die Ehre in Gestalt zornig bösartiger Death-Attacken und eruptiver Black Metal-Ströme. Das wuchtig zerfetzende Dekonstruieren aller lieblichen Harmonien erlebt der Hörer - egal ob Metalfan oder nicht! - paradoxer Weise sowohl als zutiefst (ver)störend, jedoch gleichzeitig auf archaisch machtvolle Art verführerisch und rhythmisch hypnotisierend.
Zwei erfreulich zurückhaltend verspielte Grundthemen schlängeln sich als roter Faden durch das Labyrinth dieser 75-minütigen Metal-Pyramide. Beide leiten stets die Rückkehr der lebensfrohen Kräfte und Mächte ein. So weit so gut! Aber wie gut und den entscheidenden Schritt besser als "Mabool" ("Die Sintflut") ist der "ORWArriOR" vor allem dank Steven Wilson samt seines subtilen und sensiblen, dennoch unerbittlich straffenden Mixes. Der Porcupine Tree-Kopf verpasst der mitunter bis ins Chaotische blumigen Kompositionsweise Farhis ein Zaumzeug, das tatsächlich die Quadratur des Kreises vollbringt. Die Tracks sind - für sich genommen - insgesamt transparenter, ohne die Komplexität als Gesamtkunstwerk zu schmälern.
Bis man diesen Brocken bewältigt hat, bedarf es sicherlich mehrmaligen intensiven Zuhörens. Eher brüsk als einladend kommt das Album daher. Ist der Knoten erst einmal geplatzt, offenbaren jedoch auch die einzelnen Songs ihre ganz unabhängige Unwiderstehlichkeit.
"Sapari" klingt wie eine Kreuzung aus prächtiger Negev-Oase und Stahlbad. "Barakah" vereint schroffe Growls mit einem exotischen "Innuendo" Rhythmus dortiger Saiteninstrumente. "The Warrior" trumpft mit hymnischer Eleganz auf, die selbst Pathos-Altmeister à la Iron Maiden verblüffen sollte. In "New Jerusalem" - dem dramaturgischen Höhepunkt - beschwört Levi seine Garten Eden-Utopie.
Eine großartige Platte, die - soweit wage ich mich vor - früher oder später zum Klassiker zumindest in der Metalszene werden wird. Was auch immer es dieses Jahr an Neuerscheinungen geben wird. Es muss viel passieren, damit diese CD nicht mein persönliches "Album des Jahres" wird.
3 Kommentare
kubankes stil ist schlimm. macht aber dennoch neugierig.
das ist doch besser als umgekehrt
Guck wir gerade dein Rezishit an. Auch hier werden wir uns einig: Orphaned Land gehören für mich zum besten, was der Metal heutzutage zu bieten hat.