laut.de-Kritik

Das Meisterwerk, mit dem der Madman flügge wurde.

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Große Alben sind weit mehr als eine Aneinanderreihung gelungener Songs. Große Alben erzählen auch große Geschichten. Wie "Blizzard Of Ozz": Ozzy Osbournes erste Soloplatte markiert den Dreh- und Angelpunkt so vieler Anekdoten und Mythen, dass es locker für eine Rock-Seifenoper reicht. In den Hauptrollen: Ozzy als der gefallene Held, der wie Phönix aus der Asche wiederaufersteht, Randy Rhoads als der brillante Sidekick, der sich innert kürzester Zeit in den Olymp der Gitarrengötter spielt, und Sharon Arden, spätere Osbourne, als eiskalte, aber auch erfolgreiche Geschäftsfrau.

Nach seinem Rauswurf bei Black Sabbath 1979 dachte Ozzy: Das wars mit der Karriere. Plötzlich stand er ohne Band oder Plan da, dafür mit einem Giftmülllager an der Stelle, an der ein funktionierendes Gehirn sitzen sollte. In seiner Überforderung verkroch er sich im Le-Parc-Hotel in Los Angeles, wo er sich wochenlang in Selbstmitleid suhlte und immense Mengen an Alkohol, Kokain und Pizza vernichtete. Am Ende, schreibt Ozzy in seinen Memoiren, seien seine Titten größer gewesen "als die des großen, übergewichtigen Bruders von Jabba the Hutt".

Dass der Madman nicht in einer Explosion aus dem Leben schied, verdankt die Musikwelt einer gewissen Sharon Arden. Die wollte damals ihrem Vater, dem Musikmanager Don Arden, etwas beweisen und nahm sich kurzerhand Ozzys Karriere an. Sobald sie ihn einigermaßen aufgepäppelt hatte, trommelte man eine neue Band zusammen. Mit der Rekrutierung des noch weitgehend unbekannten Randy Rhoads (Quiet Riot) bewies das Gespann erstmals ein geniales Händchen.

Rhoads mochte blutjung sein, 22 Jahre alt, doch beim Vorspielen haute er Ozzy trotz dessen Schutzschild aus vernebelnden Substanzen aus den Socken: "Ich musste beinahe heulen, so gut war er", erinnert sich der Frontmann. Als Sohn einer Musiklehrerin interessierte sich Rhoads brennend für Klassik und zog daraus auch Inspiration für das Spiel auf seiner Gibson Les Paul. Das zeigt sich auf "Blizzard Of Ozz": Er findet darauf die perfekte Balance aus technischer Versiertheit, ohne ins Angeberische zu verfallen, süßen Melodien und knackigen Riffs.

Sein Stil kam nach den letzten, nicht wirklich geglückten Sabbath-Scheiben mit Ozzy einer Frischzellenkur gleich. Außerdem setzte Rhoads zugleich den Ton für all seine Nachfolger in der Ozzy-Soloband sowie ganze Generationen von Gitarreros. Nicht umsonst gilt Rhoads bis heute als einer der visionärsten Saitenhexer der Metal- und Hardrock-Geschichte.

Der dürre Jungspund spornte auch Ozzy an, der auf seinem Solodebüt einer Topleistung abliefert. Zusammen mit dem Bassisten und erfahrenen Songwriter Bob Daisley (Rainbow) komponierten sie die meisten Tracks, bevor es zusammen mit Drummer Lee Kerslake (Uriah Heep) ins Studio ging. Der Rhythmussektion fällt in der "Blizzard"-Saga die undankbare Rolle der gelackmeierten Handlanger zu, doch widmen wir uns zunächst dem Soundtrack.

"Blizzard Of Ozz" zählt zu jenen Alben, die man einfach nicht unterbrechen kann, hat man sie einmal gestartet. Mit dem doomigen Erbe der ersten Sabbath-Scheiben hat das nichts mehr zu tun. Hier stehen alle Zeichen auf 'Neoklassischer Metal' und der Bandmotor läuft auf allen Zylindern. Mit "I Don't Know" und "Crazy Train" eröffnen gleich zwei Straßenfeger die Show, die auch 36 Jahre später noch höllischen Drive besitzen. Daisleys pumpender Bass legt mit dem Schlagzeug ein mehr als solides Fundament, auf dem sich Rhoads so richtig austobt: Er reiht seine typisch galoppierenden Riffs, meisterliche Soli und liebliche Klänge (etwa im akustischen Zwischenteil von "I Don't Know") aneinander, als sei er ein alter Hase.

Auch der Madman ist auf der Höhe: Ozzy beweist ein Ohr für Gesangsmelodien und klingt so gut wie lange nicht mehr. Von seiner Performance ganz zu schweigen: Wenn er manisch lacht oder singt "Mental wounds still screaming / Driving me insane / I'm going off the rails on a crazy train", glaubt man gerne, dass da einer den Wahnsinn aus nächster Nähe kennt.

Für Ozzy eröffnete sich dank Rhoads eine neue Herangehensweise ans Songwriting. Bei Black Sabbath hielt Tony Iommi die Fäden fest in der Hand. Ozzy nahm kaum Einfluss, respektive war auch selten nüchtern oder willens genug, etwas beizusteuern. Mit Rhoads dagegen genoss es der Sänger, Melodien ausarbeiten, die ihm durch den Kopf schwirrten.

Als erstes Lied entstand auf diese Weise "Goodbye To Romance", eine Ballade, mit der die Band erstmals ruhigere Klänge und ein langsameres Tempo anschlägt. Das knapp einminütige Instrumental "Dee", das Rhoads seiner Mutter widmete, spinnt den Faden weiter, ehe wieder die knackigen Riffs in den Vordergrund treten: Der Midtempo-Stampfer "Suicide Solution" beschließt die erste Seite der Platte. Der diskutable Text, von Osbourne als Warnung vor dem Sich-zu-Tode-Saufen gedacht, brachte ihm nach dem Suizid eines Teenagers juristische Schwierigkeiten ein.

Die gespenstische Atmosphäre führt "Mr. Crowley" auf der zweiten Seite nahtlos fort: Das schaurige Keyboard-Intro (eingespielt von Don Airey) ist Legende, und ein Song über den Okkultisten Aleister Crowley war 1980 bestimmt die perfekte Wahl für Teenager, um ihre Eltern zu provozieren. Randy Rhoads belässt es hier bei verhältnismäßig simplen Riffs, die er aber mit Sololäufen zum Niederknien garniert.

Einziger Durchhänger des Albums ist "No Bone Movies". Der musikalisch wie textlich unspektakuläre Rocker setzt sich passenderweise mit Sexfilmchen auseinander. Einst nur als die B-Seite gedacht, schaffte es die Nummer doch aufs Album und sicherte Schlagzeuger Kerslake seinen einzigen Songwriting-Credit.

Aber ohnehin hätte jeder Song neben dem brillanten "Revelation (Mother Earth)" einen schweren Stand: Alles beginnt sachte mit akustischer Gitarre und einem wehklagenden Ozzy, der Umweltsünden anprangert. Es dauert aber nicht lange, bis die erste E-Gitarre aus den Boxen dröhnt. Ab da steigert sich die Band in einen Rausch, wobei man nie recht weiß, wohin die Reise führt. Erst wird es heavy, dann unschuldig-verspielt, am Ende gibt es eine Lehrstunde in 'Klassik trifft Heavy Metal' auf die Ohren. Ganz großes Kino! Das finale "Steal Away (The Night)" entlädt sich danach wie ein fettes Riffgewitter auf den Hörer. Eine Headbanger-Hymne durch und durch, die "Blizzard Of Ozz" mit einem Paukenschlag beendet.

"Ich würde lügen wie gedruckt, wenn ich behaupte, dass ich überhaupt nicht an Black Sabbath dachte, als wir 'Blizzard Of Ozz' produzierten", schreibt Ozzy. "Ich wollte es ihnen zeigen." Das ist ihm gelungen. Sein Solodebüt hat den Test der Zeit gänzlich unbeschadet überstanden und lässt vortrefflich darüber sinnieren, wohin es das Duo Osbourne/Rhoads noch gebracht hätte, wäre der Gitarrist nicht schon 1982 bei einem Flugzeugunglück viel zu jung verstorben.

Im Gegensatz dazu hat die Platte mutmaßlich wohl Ozzys Leben gerettet. Mehr noch, hat sie den Grundstein dafür gelegt, dass seine Soloband in den Achtzigerjahren frischer klang als die Ex-Kollegen von Black Sabbath, Randy Rhoads' Status als Legende zementiert und Ozzy und Sharon erstmals zusammen im Bett landen lassen.

Der einzige Schandfleck, der dem Album anhaftet, ist geschäftlicher Natur: Daisley und Kerslake stritten mit den Osbournes jahrelang um eine (ihrer Meinung nach) gerechte Entlohnung. In der Folge wurden die Bass- und Schlagzeugspuren auf der 2002er-Neuauflage der Platte einfach von anderen Musikern neu eingespielt (wie sich Robert Trujillo und Mike Bordin dafür hergeben konnten, bleibt wohl ihr Geheimnis). Ein beispielloser Affront, der laut Ozzy allein auf Sharons Mist gewachsen war. 2011 wurde dieser Schritt zum Glück endlich wieder rückgängig gemacht, doch den Ruf als skrupellose Hexe im Rock'n'Roll-Universum wird Sharon nie wieder abschütteln können.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. I Don't Know
  2. 2. Crazy Train
  3. 3. Goodbye To Romance
  4. 4. Dee
  5. 5. Suicide Solution
  6. 6. Mr. Crowley
  7. 7. No Bone Movies
  8. 8. Revelation (Mother Earth)
  9. 9. Steal Away (The Night)

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