laut.de-Kritik
Klangliche Veränderung trifft auf künstlerische Stagnation.
Review von Magnus FranzPale Waves haben bereits in der Vergangenheit immer wieder das Kunststück vollbracht, in Bezug auf ihre Entwicklung als Band einiges und gleichzeitig auch nichts zu verändern. Seit ihren Anfängen vor rund acht Jahren ist die Historie von Heather Baron-Gracie, Ciara Doran, Charles Wood und Hugo Silvani eine stetige Suche nach einer musikalischen Identität. Ihr Debütalbum "My Mind Makes Noises" war schillernder Indie- und Synth-Pop mit 80s-Anleihen. Auf dem passend betitelten "Who Am I?" versuchte sich das Quartett dann am Alternative-Pop-Rock. Auf "Unwanted" gibt es nun eine ordentliche Portion Pop-Punk.
Während der Sound der Alben somit stets neue Facetten annimmt und auf "Unwanted" sogar besser als jemals zuvor auch in das ästhetische Gesamtbild der Band passt, fehlt weiterhin eine wichtige Essenz, die aus Baron-Gracie und Co. mehr als ineffektive Formwandler macht. Es sind gerade die Songwriter-Fähigkeiten von Frontwoman Baron-Gracie, aber auch die musikalischen Fähigkeiten der gesamten Band, die selbst im dritten Anlauf fast schon eine Immunität gegen jegliche Weiterentwicklung aufweisen und dafür sorgen, dass das Paradoxon aus klanglicher Weiterentwicklung bei gleichzeitiger künstlerischer Stagnation bestehen bleibt.
So sind Tracks wie "Alone", "Only Problem", "Act My Age" oder der Titeltrack energiegeladene, geradlinige, vorhersehbare und krachende Beschallungen mit wenig variierenden Melodieläufen und Arrangements, die in dieser Form schon immer den Großteil aller bisheriger Pale Waves-Projekte ausmachten. Das musikalische Gewand mag sich auf "Unwanted" zwar einmal mehr verändert haben und den bisher härtesten und auch stringentesten Sound der Band hervorbringen, doch von der albumübergreifenden Formelhaftigkeit kann sich das Quartett einfach nicht loslösen.
Welche Ambitionen hat also eine Band, die auch nach dem dritten Album meist nur auf der Stelle tritt und weiterhin eine Bestimmung sucht? "Unwanted" liefert abermals nur bedingt Antworten, was nicht zuletzt daran liegt, dass sich die Gruppe nun ausgerechnet am Pop-Punk-Sound versucht. Schließlich ist es durch den nach wie vor präsenten Hype um das Genre kaum möglich, aus der Masse herauszustechen, ohne zumindest etwas zu polarisieren.
Doch Pale Waves' Pop-Punk ist an den meisten Stellen derart inoffensiv, dass die Suche nach einem Platz in der Musikwelt einmal mehr zu scheitern droht. Sie versuchen, sich als Sprachrohr für die Ungewollten, die Außenseiter, die Nicht-Verstandenen zu etablieren und anhand vieler von Baron-Gracies Textpassagen wie "You left us too soon / Such pain they put you through / Only felt safe in your room / Needed someone to turn to / A delicate flowеr / They took all your power / And got in your head bеfore you could even bloom" oder Dorans twitter-dokumentiertem Weg hin zur Findung der eigenen Geschlechtsidentität wird deutlich, dass diese Ambitionen nicht aus dem Nichts kommen. Pale Waves stecken selbst in den Rollen jener, die nicht "dazugehören" und von vielen nicht verstanden werden. Diese Gefühle authentisch und fesselnd in ihren Songs zu verpacken, gelingt allerdings einfach zu selten.
"The Hard Way" ist durch eine tragische Hintergrundgeschichte und dem Wandel von einer akustischen Ballade hin zu einem epischen Schlussakt eine der wenigen Ausnahmen, die wirklich hervorsticht und dafür prädestiniert ist, das öffentliche Bewusstsein für Mobbing und mentale Gesundheit zu schärfen sowie ein Safespace für Gleichgesinnte und Menschen mit denselben Kämpfen zu werden. Auch das zwiegespaltene "Reasons To Live", die kompromisslose Abrechnung "You're So Vain" oder die schmerzliche Ballade "Without You" laden zumindest dazu ein, sich mit ihnen zu identifizieren, wenn man selbst schon einmal in ähnlich beklemmenden Situationen gesteckt hat.
Doch werden Melodien, Riffs, Drum-Grooves und Texte über Themen wie Selbstfindung, Trauer oder Wut an anderen Stellen fast ausnahmslos immer und immer wieder recycelt und nahezu identisch ausgeschlachtet, wie viel Wirkung kann eine musikalische Botschaft dann auf lange Sicht entfalten? Klar, eine zeitweise emotionale Bindung und Verbundenheit kann sich hier durchaus entwickeln. Doch Motivation, auch nächste Woche oder im kommenden Monat noch einmal zum Album zurückzukehren in der Hoffnung, eine erneute Verbundenheit zu spüren – sei es aufgrund eines faszinierenden Gesamtkonstrukts oder auch nur dieser einen denkwürdigen Passage, die einem selbst direkt aus der Seele spricht – besteht an dieser Stelle kaum.
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