laut.de-Kritik
Zivilisationskritik in rauschhaftem Dance-Punk.
Review von Alexander KrollParquet Courts? Vielleicht ja eher: Prophet Courts. Obwohl das siebte Album des Brooklyner Indie-Rock-Quartetts noch vor Corona aufgenommen wurde, besticht es durch eine so präzise Zeitgeist-Seismographie, dass sich sogar pandemische Erschütterungen vorzeitig abzuzeichnen scheinen. Ausgerechnet am Anfang und am Ende der ausschweifenden Soundodyssee besingt Andrew Savage das Bild der Maske. Ausblick auf Besserung inklusive.
Im aufbrausenden Reiben an Widrigkeiten verströmt "Sympathy For Life" eine freudvolle Aufbruchstimmung. Inspiriert von Vorbildern der Dance-Kultur und speziell von der "Screamadelica"-Transformation der schottischen Rockband Primal Scream erarbeiten sich Parquet Courts ihr Album über ausgedehnte Jam-Sessions, in denen sie ihre charakteristische Post-Punk-Wucht in rauschhafte Grooves überführen.
"Walking At A Downtown Pace" startet die Party. Mit pulsierender Bassline, energischen Drums, jubilierender E-Gitarre und lebensfroher Pointe ("I've found a reason to exist") dreht sich die New-York-Hymne in einen unwiderstehlichen Madchester-Strudel, der auch den Stone Roses oder Charlatans große Freude bereitet hätte.
Mit scharf justierten Instrumenten malen Parquet Courts grelle Bilder. Raffiniert erschafft die Band im Punk-Lovesong "Black Widow Spider" eine grausige Herzschmerzspinne: Hier regiert ein knarziges Riff, dort geistern speiende Synthsounds, dazwischen kitzelt eine krabbelnde Percussion und Wortakrobatik, die ganz nah an den Leib rückt ("But peace comes in pieces of pea-sized bits").
Immer wieder umkreist das Album gesellschaftliche Herausforderungen. Schlagkraft beweisen besonders die kompakten Tracks. Als pop-philosophisches Programm entlarvt "Just Shadows" den Schein modern getakteter Lebenswelten durch eine packende Polarität. Auf der einen Seite entwerfen monoton groovende Strophen eine wahnwitzige Sprechgesang-Collage katastrophischer Zustände und algorithmischer Wunscherfüllungsfantasien ("Amazon fire, twenty percent off / Global cost, vast species death / Suggested for you"), die die Zerbrechlichkeit unserer Zivilisation aufzeigt ("My merry way, on it I saw / Civilization rise and fall").
Demgegenüber erblüht ein emphatisch gesungener, beatlesker Chanson-Refrain der Ernüchterung ("Then suddenly everything's calm / And there's black winter mud on your feet"). In unheimlicher Vorahnung attestiert die Band: "Life's not as modern as it seems".
Direkt ins Mark der Conditio humana trifft auch "Homosapien". Erbarmungslos wütet der punkigste Track des Albums durch die ganze Menschheitsgeschichte. Mit rohem Lärm und Schweiß führt die Band moderne Errungenschaften konsumkritisch ad absurdum ("What a time to be alive / A TV set in the fridge") und zurück zu tierischen Ursprüngen ("The endorphins of the hunt / Jump like begging dogs").
Rund um die geballten Powertracks entfaltet das Album sein ausgedehntes, dance-inspiriertes Improvisationskonzept. Aufbauend auf Jam-Sessions, die von Produzent Rodaidh MacDonald (The xx, Hot Chip, David Byrne) geschnitten wurden, entsteht eine kaleidoskopische Revue genre- und zeitübergreifender Elemente, die sich addieren, multiplizieren und ineinander verwandeln. An vielen Ecken tauchen gute Ansätze auf, doch in weiten Freestyle-Sphären verlieren sie sich mehrfach.
"Plant Life" halluziniert mit funky Beats und Doors-Orgel charmant in einen Chorus, der gleichzeitig als umweltpolitischer Aufschrei und globale Party-Message ("The soil's got a fever") fungiert, aber während fast sechs Minuten irgendwann den Faden verliert. Zwischen Groove und Gleichförmigkeit schunkeln die Gemeinschaftsübungen "A Sympathy For Life" und "Zoom Out". Manchmal geraten die sozialkritischen Konzepte zu sehr in den Vordergrund.
"Application/Apparatus" dekonstruiert über zahlreiche Zeilen die weltweite Technikhörigkeit, klingt dabei aber zunehmend selbst programmiert. In "Marathon Of Anger" übersetzt sich die Arbeitskampf-Agenda nicht in einen kraftvollen Song, sondern mäandert als Talking Heads-Projektion nur träge vor sich hin. Exzellente Balance zwischen Konzentration und Weite gelingt ganz zum Schluss. "Pulcinella" arrangiert seine Indie-Rock-Bestandteile und Freiräume dramaturgisch zu einer mitreißenden, Pavement-reminiszenten Slacker-Ballade. So kompakt können sieben Minuten klingen.
1 Kommentar
Kann an der Stelle nur empfehlen, die letzte Platte von denen zu entdecken. Für mich eine der besten Scheiben der 2010er!