laut.de-Kritik
Dieser Maßanzugträger ist der wahre Chefstyler.
Review von Ulf KubankePaul Weller ist der absolute Workaholic unter den Postpunkern. Sechs hitlastige Jam-Alben, fünf mit Style Council und dazu noch zehn Solowerke. Nun stehen die "Sonik Kicks" im Laden und sind erwartungsgemäß viel mehr als lediglich Platte Nr. 22. Der Mann, der nur zu gern sämtliche Castingshows von der debilen Seite der Macht gesetzlich verbieten lassen würde, bläst dem Publikum lässig den Winter aus den Knochen.
War die vorherige Scheibe stark geprägt von seiner roh rockenden Seite, gibt der Maßanzugträger als wahrer Chefstyler hier ganz den musikalisch entspannten Lord of Pop, der zum Glück alle paar Jahre in unterschiedlichen musikalischen Gewändern zum Vorschein kommt. Pop ist hier beileibe kein Schimpfwort. Es geht selbstredend nicht um irgend welch belanglosen Ladidah-Kram aus der stumpfen Industrie- und Radioecke. Keine abgeschmackten Schablonen verschmockter Nichtskönner.
Im Gegenteil: Von rotzigem Streetfighter-Rock über leicht angebeatlete Melodien bis hin zu fett schwarzem Funk, Soul plus wabernder Sixties Psychedelia reicht der kraftvoll gespannte Bogen of Song. Ein Lehrstück in moderner Eigenständigkeit; gespeist aus der Fortführung hochwertiger Musiktradition.
"Selbstverständlich möchte ich – bei allem Stolz auf das bisher Geleistete – heute im Jahr 2012 als Künstler relevant sein." Die postulierte Vorwärtsgewandheit ist hier kein lahmes Lippenbekenntnis, wie man es oft bei alternden Stars antrifft, die ihren kreativen Zenith längst hinter sich haben. Weller hat Hunger UND Ideen. Dabei hilft es dem Besitzer der Black Barn Studios sehr, dass er als großer Individualist auch ein echter Teamplayer ist, der sich stets offen für die Einfälle anderer zeigt, falls sie etwas taugen.
Natürlich finden sich dementsprechend wieder ein paar Freunde im Handgepäck. Graham Coxon ist wieder einmal dabei; ebenso Aziz Ibrahim. Und last but not least natürlich Best Mate Noel Gallagher, der sich momentan mit seinem Soloalbum ohnehin besser aufgestellt zeigt als bei den letzten mindestens drei Oasis-Rillen. Besonderer Gag: Ähnlich wie bei Bowies "Diamond Dogs" anno 1974 tauschen die gut aufgelegten Herren mitunter ihr jeweils angestammtes Instrument mit einem anderen. Das garantiert ein wenig anarchischen Spaß in "When Your Garden Is Overgrown" zwischen laszivem Lustgarten und schnurrigem "Garten Eines Kraken".
Nach der wild um sich tretenden Einleitung "Green" geht es auf "The Attic" gleich los mit farbenfroher Popseligkeit. Im Gegensatz zu vielen jüngeren Kollegen des nerdigen Schubladenbegriffs Britpop kopiert der gute Paul jedoch niemals. Man höre nur, wie er sich hierfür den Geist der Fab Four schnappt, etwas stimmliches Whiskeytimbre drüber gießt und dabei noch die Balance zwischen elektrischen und akustischen Klängen ästhetisch fein austariert. Ähnlich gut funktioniert in dieser Gattung die abgezockte funky Soul-Perle "That Dangerous Age". Ohrenbonbons ohne auditives Zahnfleischbluten.
Zum komplexeren, am ehesten Style Council-kompatiblen "Study In Blue" steuert Gattin Hannah ebenso lakonische wie hervorragend akzentuierte Vocals bei. Einen groovy Spritzer Bossa oben drauf. Pop in Perfektion. Man beachte nicht nur hier die zahllosen psychedelischen Verzierungen, Effekte und Überleitungen des Silberlings. Alles fließt unfassbar organisch ineinander. Dabei gelingt dem Mann aus Surrey eine Lebendigkeit im Sound, die wundersam niemals Gefahr läuft, in scheintoter Überfrachtung zu erstarren. Eine virtuose Leistung,vor der man nur in die Knie gehen kann.
Jamfreunde und jene einer etwas direkteren Gangart finden sicherlich Gefallen an den zwischenzeilig immer ein wenig rebellisch rockenden Kloppern wie "Around The Lake" oder "Kling I Klang". Meisterhaft, wie catchy der bekennende Träger von Herrenhandtaschen letzteren Song im Gleisdreieck zwischen Ska, Vaudeville und Punk placiert. Das kann man schon allein handwerklich kaum besser machen.
Gleichwohl gibt es mit "Dragonfly" sogar ein Lied, das zumindest nach meinem Dafürhalten einen klaren Höhepunkt im gesamten Katalog Wellers bedeutet. Jenseits aller obigen Zutaten erschafft er eine ebenso eingängige wie psychedelische Miniatur, deren Strömung paradoxerweise ebenso croont wie treibt. Harmonie aus Gegensätzen; dazu ein ebenso lebensweiser wie poetischer Text über die Erhabenheit leider seltener weiblicher Freigeister. Wer sich von diesem Tsunami der Gefühle fortspülen lässt, kann sicherlich einen neuen alltime Lieblingssong für sich entdecken.
So hat Paul Weller in der für ihn nicht einfachen Zeit der Trauer nach dem Verlust des geliebten Vaters (sowie Kumpels und Managers) sein fast leichtfüßigstes Album überhaupt fabriziert, ohne dabei die Tiefe in Lyrics und Struktur preiszugeben. Wenn es um britische Popmusik geht, mögen die einen weiter im ollen Blurzug fahren; während die anderen nach den zuletzt höchstens routiniert streitenden Oasis gieren. Echte Kenner wissen: die totale Substanz erhält man nur vom Modfather.
3 Kommentare
Kenne die Platte nicht, aber Paule weiß immer wieder zu faszinieren. 2-3 Songs sind auf jedem Album richtig gut, der Rest aber auch richtig langweilig...
Das Album heißt aber trotzdem nach wie vor "Sonik Kicks".
cool