laut.de-Kritik

Die Cocktail-Gläser auf dem Sonnendeck stehen leer ...

Review von

Eine CD mit eingängig-verspieltem Pop, deutschsprachig, hochpolitisch, bittersüß, den Kopf fordernd und gleichzeitig mit ausgesuchter Leichtigkeit unterhaltend – gibt's das? Ja. Dieses seltene Kunststück ist dem Kölner Künstler PeterLicht mit seinem neuen Werk "Lieder Vom Ende Des Kapitalismus" eindrucksvoll gelungen. Seine persönliche Zustandsbeschreibung der Bundesrepublik Deutschland kommt nicht als miefig-hobbylinkes Allerweltsgejammer daher, sondern als kluge Analyse mit wachem Auge und echtem Herzblut.

Licht braucht keinerlei Phrasen-Dampfhämmer und überflüssige Wortschwälle. Von lyrischen Momenten durchsetzt, lässt er dem Hörer Raum für eigene Interpretationen seiner Text-Fragmente. Unter dem oft verspielt-melodischen Samt der Arrangements lauert eine feine und äußerst schmerzhaft zustechende Nadel.

"Das absolute Glück" bedeutet etwa: "Als Allerletzter Mensch/Am Rand zu stehen". Dem Rand der Erdscheibe in diesem Fall, doch hier ist bereits viel von den noch weiter folgenden Doppelbödigkeiten der Song-Texte zu finden. Geradezu flott und als lockeres Sing-A-Long inszeniert, karikiert "Wettentspannen" die hektische Jagd - und gesellschaftliche Forderung - nach Schönheit inclusive dazugehörender Zwangsentspannungs-Mühle.

Manchmal sind nur wenige eigene, und nicht zu viele Worte nötig, wie in dem wunderbaren 44-Sekunden-Einspieler "Benimmunterricht (Der Arbeitgeberpräsident)": Man zitiere nur ein paar kurze Forderungen des "Herrn Hundt" für den Bildungs- und Erziehungsbereich - und neben einem grimmigen, zustimmenden Lächeln Richtung Künstler bleibt das befreiende Lachen zur Aussage des Arbeitgeberpräsidenten dem Zuhörer trotzdem irgendwo im Halse stecken. Licht weiß: Es gibt vielschichtige Gründe, warum ein Land allmählich vor die Hund(t)e geht.

Ein besonderes Meisterstück des Kölner Sängers ist "Hallo Hallo (Dies Ist der Tag)": Die überlegte und treffende Umsetzung zum Ende alter Besitzstände und des damit einhergehenden, grassierenden Sozialabbaus setzt Maßstäbe. Bereits der Beginn "Hallohallohallo …Sozialkönig" karikiert die Sichtweise der Regierenden und Institutionen bitter-ironisch, aber Licht ist nicht Richter, sondern – wie auf den anderen Titeln – lediglich der ruhige, überlegte Beobachter mit scharfem Blick für das Wesentliche. Die von weichen Klängen unterlegten Text-Quintessenzen erreichen den Hörer mit ihrer ausgesuchten Handvoll Worten mehr, als jedes minutenlange, beschwichtigende Politiker-Dampfgeplauder dazu überhaupt in der Lage ist.

Durch eigenes Verschulden, oder, wie es weitaus häufiger der Fall ist, ohne eigenes Zutun forcierter Absturz in Hartz IV – die Politik des sozialpolitischen Sensenmanns aller maßgeblichen Parteien macht vor Niemandem halt. Nicht vor dem Heer arbeitsloser Kfz-Mechaniker, Verkäuferinnen und Lehrer: "Dies Ist Der Tag/An Dem Du zur Hölle Fährst". Die "Alte Tante Wohlfahrtsstaat" ist gestorben, denn die Grenzen des Wachstums sind schon lange erreicht: "Dies Ist Der Tag, An Dem Es Uns Wie Den Anderen Geht. Hallo Nachkriegszeit, Dies ist Der Tag, An Dem Du Zur Kriegszeit Wirst". Es braut sich was zusammen im Lande - schon lange -, aber PeterLicht will nicht nur verschrecken, denn das Prinzip Hoffnung bleibt bestehen: Der "Böse Mann Muss Tot Sein, Dann Können Wir Wieder Glücklich Sein".

All das vermittelt Licht auf sympathisch-zurückgenommene Weise, wie ein alter Freund, der schützend seinen Arm um deine Schulter legt. Immer in der Gewissheit, dass es kalt ist da draußen – und seit langem immer kälter wird. Die Erinnerungen an die 'guten Tage' des 'alten' Kapitalismus sind als wohlig-melancholische, bissige, aber nicht resignierende Abgesänge inszeniert. Mit kluger Doppelbödigkeit und überlegter Wahl seiner Stilmittel bewegt sich PeterLicht sicher über das schwierige Terrain zwischen Ernsthaftigkeit und klugem Nonsens, ohne plakativ ausschließlich in einer linken, rechten oder gar wischiwaschi-liberalen Ecke zu stehen. Denn alle sind angesprochen: Der linke Zausel ebenso wie der konservative Träumer.

Auch das ist ein Verdienst PeterLichts: Nachdenkliche Songs für wache Geister zu entwerfen, denen vorurteilsbehaftete Lagerzuweisungen fremd sind – es geht um Wichtigeres, es geht um die große, übergreifende, wichtige Sache. Der aufmüpfige Junge mit Che Guevara-Mütze friert in der kalten Deutschland-Nacht schließlich ebenso wie jener zurückgelassene Mitbürger im sich allmählich fadenscheinig auflösenden Kaschmir-Mantel, der aus besseren Zeiten übrig blieb. Doch der Becher Tee mit dem ordentlichen Schuss Rum darin wärmt beide. Eine Zeit des Umdenkens ist gekommen: "Ob Es Amerika Ist/Oder die Hölle/Oder Was Noch Zwischen Die Welt Fällt".

Über allem schweben diese leichthändigen, einhüllenden Melodien, gebettet in schlichte und doch so enorm wirkungsvollen Arrangements. Liebe, Hoffnung, Furcht, leises Verzagen – mal balladesk, mal als lockerer, freundlicher Pop samt gelegentlicher Indie-Verzierung. Die notwendigen Schnittwunden in eine vordergründige Sound-Heimeligkeit besorgt das gut geschärfte Text-Seziermesser. Die heutige deutsche Wirklichkeit hinterlässt Risse in geliebten und ungeliebten, aber bislang immerhin vertraut sicheren Strukturen.

Nichts ist, wie es einmal war: Im Friseursalon, auf dem Arbeitsamt, am Fahrkartenautomat. Und natürlich auf dem Sonnendeck; denn "Am Ende Eines Langen Abends" scheint selbst hier der ausschließlich heitere Anstrich verblasst, die Cocktail-Gläser stehen traurig und leer. Nur aus dem Partysalon der einst schnittigen Yacht schallt noch einsam die Stimme von PeterLicht aus dem Player: "Es bleibt uns der Wind".

Trackliste

  1. 1. Offenes Ende
  2. 2. Das Absolute Glück
  3. 3. Wettentspannen
  4. 4. Es Bleibt Uns Der Wind (Du Bist Richtig Hier)
  5. 5. Gerader Weg
  6. 6. Benimm unterricht (Der Arbeitgeber präsident)
  7. 7. Lied Vom Ende Des Kapitalismus
  8. 8. Hallo Hallo (Dies Ist Der Tag)
  9. 9. Wir Werden Siegen
  10. 10. Der Böse Mann
  11. 11. Kopf Zwischen Sterne
  12. 12. Unsere Zeit
  13. 13. Du Kommst Nicht Mehr Zurück

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41 Kommentare

  • Vor 18 Jahren

    "Wir werden siegen"...und ich plädiere für ein Recht auf Utopie.

    Peter Licht hat ein famoses Album aufgenommen. Melodien, Wortwitz...der Spaß am Andersdenken.

    Wer sich fallen lassen möchte...und nach all den gescheiterten helden wieder lieder mit "edding an die wand" - potential benötigt. aber ganz feste zugreifen!

    ”Am nächsten Sonntag ist Europawahl. Ich werde England wählen.“

  • Vor 18 Jahren

    Der Auftritt/Song gestern Abend bei Harald hat mächtig Appetit gemacht. Das berühmte "Sonnendeck" ist - für mich - ohnehin, aus irgendeinem Grunde, einer der schönsten deutschsprachigen Pop-Songs der letzten Jahre. Höre ich immer noch gern. :)

  • Vor 18 Jahren

    meide die popkultur, dann geht's dir besser :)

  • Vor 18 Jahren

    denk ihr man sieht den mal live auf der bühne?

  • Vor 17 Jahren

    der ist favourit beim bachmannpreis (http://bachmannpreis.orf.at/bachmannpreis), und selbst da machte er ein tamtam, ums nicht gefilmt werden.

  • Vor 17 Jahren

    PeterLicht ist der Aufgabe nachgekommen, die er sich selbst auferlegt hat - die Analyse der Gegenwart. Saubere Arbeit!

    Allerdings kann man natürlich kritisieren, dass der Anspruch des Analysierens, unter dem er arbeitet, nicht ausreichend ist, sondern dass irgendein (politisches) Statement letztendlich notwendig ist.

    Man kann natürlich seine Kunst so auslegen, dass sie durch Reflexion der Wirklichkeit die Leute zum Nachdenken bringt und diese dann "erkennen werden", dass die derzeitigen Entwicklungen in der Welt / diesem Land "in die falsche Richtung gehen".

    Damit könnte man ihn als "links angesiedelt" bezeichnen, was aber sicher falsch wäre und PeterLicht auch überhaupt nicht gefallen würde.

    PeterLicht geht es meiner Ansicht mehr darum aufzuzeigen, vor welchem Problem die Menschheit beim Finden einer Idee für eine gerechtere Welt steht. Eine Antwort hat bisher niemand gefunden, so auch er nicht. Aber wenn man die Leute zu nachdenken anregt, fällt ja vielleicht irgendwann jemandem etwas ein ;-)

    Sei's drum, auch ohne konkretes Statement ist die CD einfach gelungen und mit Statement wäre es wohl auch nicht PeterLicht.