laut.de-Kritik
Im Modus der konservativen gothischen Operette.
Review von Kay SchierLetztens war ich auf einem Gig von Das Günther (zum mittlerweile fünften Mal, 5/5, wie eine Mischung aus HGich.T und Jefferson Airplane, als sie den Synthie mit ihrer Zunge gespielt hat bin ich ausgeflippt), die zu meinem großen Unverständnis nicht Headliner des Abends waren, danach kam noch eine Truppe namens Steintor Herrenchor. Bei der Zeile "sehe wie du tanzt/ trotz der Nähe nur Distanz" haben sie mich zwar definitiv verloren. Das Konzert hat mir dennoch einiges gegeben, nämlich die Erkenntnis, dass Post-Punk bei jungen Leuten, also so 20-Jährigen, immer noch funktioniert.
Die Crowd hats gefühlt. Ich mag auch gern dem von mir nicht verifizierten Hörensagen glauben schenken, dass zum Beispiel The Cure in der selben Alterskohorte sehr gut läuft, das leuchtet irgendwie ein. Ein tanzbarer Beat, flirrende Synthies und Gitarren, Weltschmerz, das ist zeitlos.
Ähnlich wie Robert Smith hat Peter Murphy die Musikgeschichte geprägt wie nur wenige, genauso wie Robert Smith muss er immer noch ein aller-allerletztes Album machen, weil er nie etwas anderes gelernt hat als Rockstar, und es einfach nicht reicht. Der Song braucht noch einen Part. Und noch einen Part. Und noch einen Part.
"Silver Shade" ist deutlich ausgeufert. Produzent Youth ist ein Experte dafür, sich mit Musiklegenden im Studio gehen zu lassen (er hat als The Fireman mit Paul McCartney ein paar sehr merkwürdige Alben aufgenommen, darunter das Country/Ambient-Opus "Electric Arguments") und sieht aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung als Trance-DJ in überlangen Songs vermutlich eh kein Problem. Aber es ist teilweise schon bizarr, was hier passiert. Behutsam um die Hälfte gekürzt, wäre "Silver Shade" wahrscheinlich eine rundum gute Sache.
Dabei bin ich vom Auftakt und "Swoon" hellauf begeistert. Der Song hat die Coolness von INXS und einen hypnotischen, den Herzschlag und Wahrnehmung beschleunigenden Groove à la DAF. Da ist es auch gleichgültig, welche Buchstabenkombinationen Peter Murphy gerade intoniert ("Swooo-ooon"), seine geschmeidig raunende Stimme ist das Medium, und das ist bekanntlich die Message.
Der Song hat vor allem Stärken, die dem Rest des Albums leider abgehen: Einerseits arbeitet seine Spielzeit für und nicht gegen ihn, andererseits erfüllen hier alle Elemente eine songdienliche Funktion. Die verschwitzte, clubbige Energie, dieses Level an selbstbewusstem Understatement, ruft Murphy hernach nicht mehr ab.
Ich zähle von zwölf Songs auf diesem Album sieben, die sich an irgendeinem Punkt in wagnerianischem Gedudel verlieren. Einer davon hätte gereicht, namentlich "The Artroom Wonder", der sich von einer minimalistischen Bassline in ein Surfrock-Riff in eine Kakophonie aus orchestralen Synthflächen entwickelt und wieder zurück. Darüber dröhnt und dehnt der Maestro düster dräuend die Vokale, dass es ein Fest ist. Der Song schiebt noch ein zweites und ein drittes Mal an, und das ist gut so.
Wieviel stärker hätte dies im Kontext gewirkt, wenn Murphy und Youth sich einfach mal ein bisschen mehr beschränkt oder öfter zu einem anderen emotionalen Modus gefunden hätten als der konservativen gothischen Operette. Warum "Sherpa" unbedingt auf das Album musste, erschließt sich nicht, teilweise gibt es so offensichtlich überflüssige Fillerparts in den Songs, siehe die "La La La"-Sequenz von "Silver Shade", dass ich mich schon frage, ob der Produzent so ganz bei der Sache war.
Dabei mangelt es absolut nicht an musikalischen Ideen, alle Beteiligten wissen, was sie tun und das nicht erst seit gestern. Die vielen interessanten musikalischen Haken, Youths sägende Gitarren oder der dicke Auftritt von Justin Chancellor und Danny Carey, Tools Rhythmussektion, auf "The Meaning Of My Life", führen nur zu oft in ein pathethisches Niemandsland.
Pathos ist eine tolle Sache, bei Tool funktioniert das in der Regel wunderbar, weil sich die Band wie ein dunkles Uhrwerk zu einem Punkt spielt, an dem es Klick macht und in Zeitlupe eine emotionale Bombe explodieren lässt, wozu Maynard James Keenan dann maximal effektvoll den Hirsch macht. Auf "Silver Shade" ist Pathos meistens der Grundmodus, die Songs beginnen und enden in einer Deklamation, nur die Lautstärke variiert. "Time Waits" und "The Sailmaker's Charm" sind gleichzeitig zu viel und zu wenig.
Diese erratische Maßlosigkeit ist es aber auch, die das Album trotz allem irgendwie zusammenhält. In Peter Murphys Stimme ist sie von der ersten bis zur letzten Sekunde hörbar. Da ist ein Hunger und eine absolut selbstverständliche Exzentrik in seinem beschwörenden Heulen, die einfach nicht langweilen. Der Mann macht das nicht fürs Geld, sondern weil es sein muss. Oder zumindest macht er es nicht in erster Linie fürs Geld.
Ian Shirley zitiert in "Dark Entries: Bauhaus and Beyond" Daniel Ash, den späteren Gitarristen von Bauhaus, wie er das erste kreative Treffen mit Murphy beschreibt: "Er hatte keine Texte oder dergleichen, er wusste nicht, ob er singen konnte, aber er hatte eine Zeitung, und ich habe einfach eine Menge Echo aufs Mikrofon gelegt, um ihm Selbstvertrauen zu geben, damit er gut klingt. Ich habe einfach angefangen, ein Riff zu spielen - irgendetwas, und er hat angefangen, aus der Zeitung zu singen. Als ich ihn singen hörte, wusste ich innerhalb von fünf Minuten, dass es nur eine Frage der Zeit war. Er hatte (...) es."
Diese Energie besitzt Murphy bis heute. Weil es einfach nicht reicht: Er ist eine Maschine, die Silben in Dramen verwandelt. Auch, wenn er gegen Ende des Albums und ganz besonders auf "Let The Flowers Grow" mit fucking Boy George die Grenze zur Selbstparodie deutlich überschreitet (das klingt einfach wirklich wie "Tage wie diese", nur nicht so knackig gespielt): Das Feuer ist immer da.
Das Riff von "Soothsayer" mag mich abermals zweifeln lassen, ob Youth im Studio ganz sauber war, aber Murphy verkauft den Song mit der Energie einer zum ersten Mal auf der Bühne besoffenen Schülerband und nicht wie jemand, der eigentlich auf die 70 zugeht, beziehungsweise den es nicht interessiert, was andere Leute darunter verstehen, auf die 70 zuzugehen. Einfach machen, weil es anders nicht geht. Also ich bin mir sicher, dass es anders ginge, und dann wäre "Silver Shade" ein besseres Album. Aber ihm ist das auch hörbar egal, und davor ziehe ich meinen Hut. Aber was zur Hölle ist das für ein Cover?
2 Kommentare
Kenne die Band nicht, aber das Steintor ist Hannovers Rotlichtmeile – nur um dem Text mehr Kontext zu geben.
Das ist keine Band, das ist Ulfs Onanier-Eimer. Der überlegt schon seit Stunden, was er als Fan-Replik auf diese Review antwortèn könnte.