laut.de-Kritik

Warten auf den Krisenmanager.

Review von

Der Zürcher Rasta-Künstler Dennis Furrer a.k.a. Phenomden verfeinert seine Rezeptur weiter: Nach "Streunendi Hünd" bleibt es grundsätzlich bei der Ausrichtung auf Soulfulness, Keyboard-basierte Harmonien und schwyzerdütschen Texten samt Film noir-Charme und szenischen Darstellungen. Das Metaphern-Register, im Knast sitzen, einen Streifschuss abbekommen usw., war schon 2021 von Phenomdens Leben in Kingston inspiriert.

Andererseits können sich die geneigten Hörer:innen zu den comichaften Bildern ("der Typ vom Foodtruck sagt, es wird a guter Tag (...) dann stellt ma' sowas nicht in Frag' / der Park bleibt immer täglich offe' / umgäbe' von den Türen (...) unter der Skyline voller Läbe'") viel hinzu denken. "Casino True Love" klingt sehr relaxed, "Travel Light" verbreitet zwanglosen Urlaubs-Vibe. Aber würde man den Songs nur nebenbei lauschen, entgingen einem viele schmuckvolle Details.

Keineswegs überhören lässt sich so oder so das krautige Outro des Lied-Fragments "Glück City" mit seinen Gitarren-Dissonanzen sowie der Wah-Wah-Bass (Matthias Tobler), der "Park" durchzieht und feinsten Rub-a-Dub zaubert. Die tiefen Ton-Frequenzen sind sehr gut abgedeckt. Am anderen Ende der Skala steigt der Sänger bis ins Falsett empor, etwa in der himmlischen Nummer "Liebi Isch" und in "Gfängnis Im Chopf". Letztere Nummer handelt vom Eingesperrtsein in der eigenen Orthodoxie der Gedanken.

Der Singer/Songwriter lebt seine Beobachtungsgabe, Reflexionstiefe, philosophische Neigung und Freude an Philly Soul-Arrangements lustvoll aus. In "Liebi Isch", dem demaskierenden Lied über die 'wahre Liebe' bzw. ihre Schattenseiten, kulminieren poetischer Overflow und das manchmal Amerikanische dieses Schweizer Karibik-Sounds: "Ach, die Liebi isch Gangster (...) du hascht Herze' g'sähe' bräche' (...) hascht dir selber müsse' verspräche': Du bischt immer da für dich." Die Lösung lautet also: Selbstliebe.

Der Indie-Künstler hat seine Scheibe mit einer geschichtsträchtigen, eidgenössischen Gruppe eingespielt, den Scrucialists. Auf dem legendären Album "Gangdalang" waren sie zum Beispiel an Opener und Closer beteiligt, auf "Eiland" (2011) bereits als Ko-Autoren und Producer aller Songs. Die Crew sorgt für einen konsequenten Sound, der alle Tunes an einem unsichtbaren Band stramm zusammenhält - von monotonem Raggamuffin mit minimaler Posaunen-Verzierung in "Summer I De Helfti" bis hin zu melodieverliebten Stücken.

Gleichzeitig leben die Pioniere der Alpen-Roots auch einen frei und ungezwungen klingenden Ansatz aus, bei dem nicht einfach ein Nachfolger des originellen "Streunendi Hünd" entstanden ist, sondern Spielfreude alles überstrahlt. Feinsinnige Arrangements beeindrucken, Gespür für Timing und eine starke Klangqualität ebenso.

Gegenüber immer mehr Synthetik im zeitgenössischen Reggae und Dancehall entschieden sich Phenomden und The Scrucialists für eine rundherum organisch tönende Entfaltung. Einzige Spielerei ist ein Autotune-Effekt in "Summer I De Helfti", der ein bisschen die Mellowness des Tracks unterstützt.

Der Titelsong "Casino" ist als innerer Monolog konzipiert und ein bisschen makaber. Frei nach dem Motto 'das Glas ist halb voll' freut sich der Ich-Erzähler im Casino des Lebens, nur mit einer Schussverletzung davon gekommen zu sein. Tastenspieler Simon Hänggi lässt auch das schon 2007 auf "Style Generator" erprobte Casio-E-Orgel-Flair wiederaufleben, und "Gfängnis Im Chopf" erinnert unvermeidbar an den Yamaha-Keys-Sound des "Walk Of Life" von den Dire Straits.

"Upliftment Boss" sinniert über die Figur eines Krisenmanagers, der Probleme in Wohlgefallen auflöst wie Mister Winston Wolf in "Pulp Fiction". Wie immer beim Sozialchronisten Phenomden sind die schönen Seiten, Positivität und Upliftment des Roots Reggae keineswegs als blanker Schönwetter-Soundtrack misszuverstehen. In Jamaika hat der Singer/Songwriter, der knapp sieben Jahre dort lebte, viel Armut gesehen.

Als er wieder zurück nach Zürich zog, so Phenomden im Schweizer Fernsehen, suchte er anderthalb Jahre lang vergeblich eine Wohnung bzw. landete wieder am Stadtrand im Quartier Wiedikon, wo er einst aufgewachsen war. Die Kontraste zwischen der manchmal chaotischen und armen Karibikinsel und der meist präzisen und reichen Schweiz ergeben nun Phenomdens bisher konsistentestes und bestes Album.

Trackliste

  1. 1. Mit Mir Use
  2. 2. Upliftment Boss
  3. 3. Casino
  4. 4. Gfängnis Im Chopf
  5. 5. Glück City
  6. 6. Park
  7. 7. Liebi Isch
  8. 8. 9 Läbe
  9. 9. Summer I De Helfti
  10. 10. Travel Light

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