laut.de-Kritik

Wer braucht schon ein Gleichgewicht?

Review von

Zwei falsche Wahrheiten über Pile: Sie hören sich wie Protomartyr an und sie hören sich immer gleich an. Beides stimmt: Pile verfolgen konsequent wie nur wenige andere ein Wucht-/Release-Schema, das nicht ganz identisch ist mit laut/leise und in seinem Groove und seiner Mischung aus bewusster Ungelenkigkeit und wunderschönen Melodiebögen eben an die Band aus dem grässlichen Detroit erinnert. Allerdings ist Joe Casey immer der erdende Faktor, Pile-Sänger Rick Maguire dagegen eher der ausufernde; textlich finden sich die beiden in ihren Sprachbildern durchaus, nur fehlen Pile Caseys Absurditäten. Wo bei Protomartyr die Gitarren den Shoegaze nachschrillen, prügelt Alex Molinis Bass eher tief in die Magengrube. Die zweite Behauptung ist auch nicht von der Hand zu weisen; aber es gibt eben Genies, von David Eugene Edwards bis Jack Johnson, die hören sich immer gleich an, weil sie mit der Nabelschnur ihren Sound fanden. Und in den Nuancen stimmt es dann auch wieder nicht: Pile hören sich meist gleich an, das Gefühl ändert sich jedoch von Album zu Album.

So kommen wir zu "Sunshine and Balance Beams", dem neunten (!) Album (mein Hörtipp aus den Vorgängern: "You're Better Than This") der Bostoner, deren Durchbruch scheinbar nie kommt, die ihre Fanbase aber stetig inkrementell vergrößern. Das Cover legt nur richtige Spuren: Eine genuin fröhliche Band war der Haufen nie, aber diese Platte ist leidend, dramatisch und melancholisch.

Aus irgendeinem seltsamen Grund ist der physische Opener "Balance Beams" digital nicht mit dabei, wie der Name des zweiten Songs "An Opening" aber nahelegt, war er gefühlt eh nur nachträglich zugeklatschter Ballast. Man fühlt sich jedenfalls schnell heimisch im ewigen Wogen der Band, und der hyperdramatische Opener der Band fährt vom wuchtigen, unvermittelten Einstieg bis zum abrupten Ende, dem hämmernden Bass und der wuchtig angelegten Melodiebögen des Refrains viel von dem auf, was die Band im Requisitenkoffer hat, inklusive einem mal wimmernd, mal kalt, mal brüllend auftretendem Sänger. Wie so oft in der Vergangenheit hört sich das Quartett am besten an in den Momenten, in denen es sein eigenes Konvolut auflösend strömen lässt, den Hörer belohnt, für was er durchgestanden hat, kurz bevor es Kraft holt für die nächste Attacke.

"Deep Clay" zeigt eine weitere Band-Facette mit Indie-Schlagrichtung, eine andere typische Pile-Gangart weit rein ins Lakonische, in der das rasche, aber weniger druckvolle Tempo immer weiter gehalten wird, bis zum Schluss hin fast unbeobachtet das Rockdonnerwetter losbricht, mit dem die Band die Ruptur schafft. Das Wunderbare an dem Song ist, dass die dreieinhalb Minuten Vorbereitung so gut funktionieren, dass man das Zusammenknallen gar nicht bräuchte, aber trotzdem gerne nimmt. Wie schon erwähnt sind Maguires Texte abstrakt, aber vordergründig, das zeigen schon die Songtitel.

Ausgeliefertsein, Kontrolle haben, kontrolliert sein, mühsames Abstrampeln, das sind die Band-Topi. "A Loosened Knot" macht da keinen Unterschied und fällt im Aufbau komplexer und weniger griffig als die ersten beiden Songs aus. Weniger Druckaufbau, mehr Momentaufnahme, die es einem bis zum Schluss nicht leicht macht und selbst die Katharsis versagt. Die Single "Bouncing In Blue" dagegen hat einen langen, poppig-beschwörenden Aufbaupart und eine lärmige Gitarrenwand. Deren Halten ist aber nach wie vor nicht die Spezialität der Band, das fällt immer noch ziemlich gut aus, aber nicht so mitreißend wie die sich schneller abwechselnden Passagen. Die Soli sitzen, alle machen alles richtig, aber im tiefsten Sturm fehlt das Geniale, das die Band beim Rein- und Raushüpfen aus dem Tornado besitzt.

"Uneasy" ist eine nette Alt-Pop-Pause vom Gebrüll, die aber wie "Holds" ein wenig zu sehr von einer Idee lebt. Beim ersten ist es eine Perkussionsfigur, beim zweiten eine schöne Gitarrenidee. Beides lebt in für die Band untypisch gleichförmigen, interessanten Songs, so ganz wird man aber das Gefühl nicht los, die vier hätten nicht gewusst, wie weiter zu verfahren sei, wenn man nicht ins alte Schema Druck/Loslassen verfallen will.

Die Single "Born At Night" fühlt sich entfesselter und befreiter an, obwohl es mit seinen Streichern und seinem eher dahinschreitenden Rhythmus ungewohnt ist für die Band. Maguire fährt gekonnt das ganz große Besteck auf, zum Schluss fühlt man förmlich den Hauch des sich schließenden Theatervorhangs. "Meanwhile Outside" deutet allein schon wegen seiner über acht Minuten gleich das nächste Dramastück an, tatsächlich passiert nach einer souveränen Anfangsphase aber gar nicht mehr so viel. Unnötig in die Länge gezogen, was man dem Closer "Carrion Song" nicht vorwerfen kann. Wieder geben Streicher einen Tupfer, der noch nicht 100% im Bandgefüge steht, aber der Aassong fühlt sich ebenso locker aus dem Ärmel geschüttelt wie wuchtig an. Bei weitem nicht das beste Album der Band, aber immer noch sehr gut und mit viel Willen zur Weiterentwicklung.

Trackliste

  1. 1. An Opening
  2. 2. Deep Clay
  3. 3. A Loosened Knot
  4. 4. Bouncing In Blue
  5. 5. Uneasy
  6. 6. Holds
  7. 7. Born At Night
  8. 8. Meanwhile Outside
  9. 9. Carrion Song

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