laut.de-Kritik

Yungblud und Shirley Manson preisen Placebo. Aber das Leben des Brian wirkt traurig und leer.

Review von

"Wir machen das nur für uns und nicht für die Leute", zischt Brian Molko in die Kamera. Er trägt eine große Ray-Ban-Sonnenbrille, einen schicken Hut und einen großen Lemmy-Kilmister-Bart, der endgültig sein Gesicht verdeckt. Es ist der größtmögliche Schutz vor dem Interesse der Öffentlichkeit. Die Fans dürfen natürlich trotzdem ihr Geld für die Band-Doku "This Search For Meaning" locker machen, die schon letztes Jahr in ausgwählten Kinos lief.

Sie bekommen in der Deluxe Edition die Doku auf Blu-ray und DVD sowie einen Live-Mitschnitt aus Mexiko und die Bonus-Tracks vom letzten Album "Never Let Me Go". Auf das achte Placebo-Album mussten die Fans damals lange warten. Die Gründe dafür sind vielfältig und werden zusammen mit Regisseur Oscar Samson näher beleuchtet. Schon bei der vorangegangenen Tour beobachteten Fans, dass Molko kühl und distanziert wirkte. Nun sitzt er in Interviews neben Bassist Stefan Olsdal und man sieht einen Menschen, der müde wirkt und am Interesse an seiner Person und mit der Gegenwart im Allgemeinen hadert. Frust steht in das bleiche Gesicht geschrieben und auch der Grundton von "This Search For Meaning" bleibt pessimistisch.

Auf dem Cover der Box sieht man ein Sammelsurium an Überwachungskameras, die alles und jeden im Umkreis bewachen und das Privatleben beleuchten. Wenn Gäste wie Yungblud, Shirley Manson (Garbage), Joe Talbot (Idles), Robbie Williams, Rebecca Luy Taylor (Self Esteem), sowie der Schauspieler Benedict Cumberbatch und der Künstler Stuart Semple über die Bedeutung von Placebo auf ihr Leben berichten, sehen wir ein Bild im körnigen CCTV-Look. Wir befinden uns damit in der Rolle eines Voyeurs, der Menschen in ihren verletzlichen Momenten beobachtet.

Auch sie sind Überlebende in einem System, dass insbesondere sensible Menschen schnell ausbrennen lässt. Talbot ging fast am Alkoholkonsum zugrunde, auch Robbie berichtete erst vor kurzem im Biopic "Better Man" über den Starruhm, der seine selbstzerstörerische Ader nur weiter triggert. Wer hier also eine fröhliche Band-Doku mit viel Spaß, lustigen Anekdoten und euphorischen Fans erwartet, dürfte schon bald ernüchternd sein.

Im Schnelldurchlauf pflügt der Film durch die Anfangszeit von Placebo. Eine aufregende, neue Band aus London, so ganz anders als ihre Britpop-Kollegen. Es existieren in den 90er Jahren noch keine Begriffe wie Genderfluid oder nonbinär, geschweige denn eine besonders hohe Akzeptanz an queeren Künstlern. Als "Frau Molko" bezeichnete auch ich in meiner strunzdummen Provinzjugend-Homophobie den Sänger, der die Geschlechterrollen auflöste. Ich würde diesem jüngeren Ich gerne einen Watschenbaum spendieren, andererseits war ich mit so einem Verhalten in meiner ach so aufgeklärten Indie-Bubble damals nicht alleine. Es zeugte jedenfalls von Mut, zur Hochzeit von Britpop nicht den Kinks oder Beatles, sondern vielmehr dem amerikanischen Indie-Rock der Pixies zu huldigen. Im Gegensatz zum ernsten Molko von heute zeigen die Archivaufnahmen noch einen jungen Mann, der Spaß daran empfindet, konservative Menschen in Unsicherheit und Angst zu versetzen.

Schon früh an seiner Seite wusste er David Bowie, Molkos Mentor und großes Idol. Auch er brach schon in den Siebzigern mit dem gewöhnlichen, heteronormativen Bild und nimmt die junge Band unter seiner Fittiche. Es ist ein Vater-und-Sohn-Verhältnis. Als Molko jetzt über den Verlust seines guten Freundes David berichtet, bricht ihm die Stimme weg. Olsdal blick sofort besorgt zu ihm rüber und es wirkt, als wolle sich Molko seine breite Hutkrempe noch tiefer ins Gesicht ziehen. Ein beklemmender Moment, in dem man sich wirklich unangenehm fühlt, weil hier jemand sichtlich tiefe Schmerzen empfindet.

Es vergehen unangenehme Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Wir werden Zeuge eines innerlichen Zusammenbruchs. Auch hinter seiner Schutz-Verkleidung geht es Molko offenkundig nicht gut und man möchte sich eigentlich beschämt wegdrehen. Erst recht, wenn einem die schlimmen Schicksale von Linkin-Park-Sänger Chester Bennigton oder The Prodigy-Frontmann Keith Flint in den Sinn kommen.

Es ist keine einfache Kost, was "Searching For Meaning” hier anbietet. Dazu tragen auch die hektischen, schnellen Schnitte von Oscar Samson bei. Es folgt dem Überwachungs-Narrativ, doch plötzlich wechselt die Szenerie ins Studio in Twickenham, wo Placebo in satten Neon-Farben die Songs aus "Never Let Me Go" performen. Sie bilden eine Ergänzung zu dem ansprochenen Themen-Faden, aber als harter Kontrast zum simplen Camcorder-Style wirkt es stilistisch unrund. Auch wird einem nach der Doku nicht klar, was genau sie aussagen will. Man hat das Gefühl zu stören und nicht erwünscht zu sein - dabei ist man Fan. Als dieser trägt man dann irgendwie auch noch eine Mitschuld an Brians Dilemma mit dem Star-Kult. Ganz davon abgesehen wirken Placebo hier auch nicht wie eine Band, die derzeit viel Freude an der eigenen Profession hat.

In der heutigen Pop-Welt scheinen sich Molko und Olsdal fremd zu fühlen. Das wiederum ist teilweise nachvollziehbar, denn ihr einstiger Exotenstatus im Pop als Stichwortgeber für Queerness- und Mental Health-Themen ist längst passé. Das ist im Grunde genommen eine gute Nachricht, auf die Placebo stolz sein könnte. Umso unerklärlicher scheint daher die merkwürdige Verbitterung und fast schon feindselige Arroganz gegenüber ihren Fans.

Andererseits nötigt es einem Respekt ab, wie ehrlich und offen die Band diese nicht einfache Bandphase zur Schau stellt. Nach der Film-Premiere von "This Search For Meaning" kündigten Placebo eine weitere Pause an. Hoffen wir, dass sie wieder die Freude an dem finden, was sie einst glücklich machte.

Trackliste

Disc1

  1. 1. Blu-ray This Search For Meaning

Disc2

  1. 1. DVD This Search For Meaning

Disc3

  1. 1. Audio-CD: This Is What You Wanted – Live in Mexico City

Disc4

  1. 1. Audio-CD: Never Let Me Go (Bonustracks)

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