laut.de-Kritik
Die Versöhnung von Natur und Mensch hat ihre Tücken.
Review von Maximilian FritzMit "Polymer" schießen Plaid ihr inzwischen zehntes Studioalbum in den Äther. Die Warp-Legenden, die sich seit über 30 Jahren in der elektronischen Musik aufhalten und nach dem traditionellen Schottenmuster benannten, vertrauen dabei auf die übliche Formel: IDM-Beats, die das "Intelligent" im Namen verdient haben, und überraschend eingängige Melodien, entweder aus dem Synthesizer oder den vom langjährigen Partner Benet Walsh bedienten Instrumenten.
Schon an Album- und Tracktiteln erkennt man aber, dass Ed Handley und Andy Turner anno 2019 ungewöhnlich deutlich eine Botschaft transportieren. Polymere werden von Menschen hergestellt, kommen aber, beispielsweise in Seide, auch in der Natur vor. Diese beiden Pole versuchen Plaid auszuleuchten und nach etwa 52 Minuten Spielzeit schlussendlich zu vereinen.
Das beginnt in der ersten Hälfte des Albums mit unverhohlener Kritik an Pharmakonzernen und dem Umgang des Menschen mit seiner Umgebung. "Meds Fade" als unheimlicher Opener führt mit seinen Breakbeats und fräsenden Synths gut ins Konzept ein und passt zur bemerkenswert explizit angesprochenen Thematik.
"Drowned Sea" prangert den galoppierenden Plastikkonsum der Menschheit an, der die Meere erstickt. Keine wirklich neue Erkenntnis, aber wieso nicht? Besonders beeindruckend: Man merkt nach spätestens zwei Sekunden, dass hier ein Plaid-Track läuft.
Das frühe Highlight der LP wartet schon an dritter Stelle: "Maru", das Plaid im Vorfeld mit einer höchst unterhaltsamen, interaktiven Promoseite bewarben, sticht selbst aus der ausladenden Diskografie des Duos heraus. Atonale Synths über einem satt polternden Beat, den nach einer Minute sanfte Pads auffangen, darüber noch ein klirrendes Glockenspiel: Fertig ist ein Track, der seine Schleifen bis in die Ewigkeit ziehen dürfte.
Insgesamt fällt schon zu Beginn des Albums auf: Plaid versuchen, das Bedrohliche mit verhältnismäßig starker Percussion und verzerrten Vokal- und Synthfetzen abzubilden. Die Uptempo-Nummer "Ops", die sich kontinuierlich intensiviert, fügt sich da hervorragend ins Bild.
Den Wendepunkt finden den Briten in "The Pale Moth". Ein gedämpfter Beat, der geradezu "IDM" schreit, begleitet ein flirrendes Zusammenspiel verschiedenster, vordergründig akustischer Instrumente. Die kleinen Insekten scheinen die beiden ohnehin zu faszinieren, fungieren sie doch als wiederkehrendes Motiv.
Die Motte als organisches Relais forciert den stilistischen Bruch mitten im Album hier beinahe mit der Brechstange. Ab jetzt liegt das Hauptaugenmerk auf sanften Melodien, die sich immer öfter an der Grenze zum Kitsch bewegen.
Das gilt beispielsweise für "Dancers", das epische Momente heraufzubeschwören versucht, aber irgendwie deplatziert wirkt. "Nurula" meistert den Spagat zwischen Pop-Appeal und Anspruch hingegen größtenteils besser und klingt irgendwie wie die Art Track, die ein Bonobo seit Jahren nicht mehr hinbekommt.
"Recall" ruft, ganz im Sinne seines Titels, die erste Albumhälfte noch einmal ins Gedächtnis und beschert ein unerwartetes Drum-Workout. Es dominiert die Distortion, eine wirkliche Songstruktur bildet sich nicht heraus. Ob Handley und Turner hier noch ein letztes Mal probieren, den Hörer vor dem Folgenden zu warnen?
Thronen in "All To Get Her" über einem stattlichen Fundament schon befremdliche Keys in etwas kruden Klangfarben, wirkt "Dust" beinahe schon esoterisch. Chöre, Glöckchen, Klaviere, ein Schuss in den Ofen.
Während "Crown Shy" mit unberechenbarem Beat und Soundkostüm die Kohlen wieder ein Stück weiter aus dem Feuer holt, trübt das Endstück "Praze" das Gesamtbild nochmals stark. Die Synthese aus Glockenspiel und Zupfinstrumenten, die Plaid auf "Polymer" leider immer wieder beschwören, klingt fehl am Platz und geriert sich besonders hier wie der Soundtrack eines Mittelalter-Rollenspiels.
Alles in allem hätte "Polymer" ein fantastisches Album werden können. Hört man die fünf bis sechs ersten Tracks, erwartet man nicht im Traum, was da noch alles lauert. Es ist Handley und Turner hoch anzurechnen, dass sie ihr Konzept der Versöhnung und Vermischung von Natur und Mensch stringent umsetzten. Beim Schritt aus der Finsternis hinein ins Licht ging aber leider die künstlerische Dringlichkeit verloren.
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