laut.de-Kritik
Der Shootingstar macht wieder erschreckend wenig falsch.
Review von Florian DükerWenn die größte Angriffsfläche, die ein Rapper bietet, seine Affinität für Klavier-Beats ist, dann kann er so viel nicht falsch gemacht haben. "Piano G" nennen sie den Künstler verächtlich, der mit "RAPSTAR" einen der größten Hits des Jahres landete. Obwohl die Kritik größtenteils von anonymen Twitter-Nutzern mit NBA Youngboy- oder Playboi Carti-Profilbildern stammt, deren Kommentare sich in der Regel auf ein "ratio" und/oder "youngboy better" beschränken, ist sie bei Shootingstar Polo G angekommen und hat sogar eine Reaktion hervorgerufen.
Nachdem der 22-Jährige im Juni seine dritte LP "Hall Of Fame" veröffentlicht und erste Nummer-Eins erzielt hatte, serviert er jetzt mit "Hall Of Fame 2.0" einen 14 Songs starken Nachtisch. Wie aktuell im Genre üblich wurde dieser in der Streaming-Version einfach vor das ursprüngliche Album geschoben, sodass "Hall Of Fame 2.0" insgesamt auf 34 Songs und eine stolze Länge von eineinhalb Stunden kommt. Disclaimer: Es erwartet niemand, dass alle 34 Tracks hintereinander angehört werden, vielmehr handelt es sich eigentlich um zwei eigenständige Alben.
Während der 1999 in Chicago geborene Taurus Tremani Bartlett in seiner Jugend einige Male mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, mehrere seiner Freunde gewaltsam umgekommen waren und sein eigenes Leben 2019 aufgrund von einer Überdosis ebenfalls auf Messers Schneide gestanden hatte, verlief seine musikalische Karriere weitestgehend reibungslos. Mit jedem veröffentlichten Song gewann er neue Fans dazu und entwickelte seinen eigenen Stil.
Das Debütprojekt "Die A Legend" zog die Aufmerksamkeit auf den Newcomer, der Nachfolger "The Goat" sorgte schließlich für den internationalen Durchbruch. Auch die Presse reagierte sehr wohlwollend auf beide Alben und die Konkurrenz aus der rappenden Zunft kollaborierte fleißig mit ihm. Ernstzunehmenden Beef gab es keinen.
So langsam werden allerdings Stimmen laut, die ihm musikalische Stagnation und stilistische Eintönigkeit vorwerfen. Das melodische Rappen über Klavier- und Gitarrenbeats galt bisher als eines seiner Markenzeichen und seine Stärke, wird ihm aber zunehmend als Schwäche ausgelegt. Dass dahinter wohl mehr als stumpfes Twitter-Getrolle steckt, zeigt Track 13 der Deluxeversion, der nach dem abfälligen Spitznamen "Piano G" benannt ist.
Dass ein Rapper Kritik zur Kenntnis nimmt, sie an sich heranlässt und dann auch noch öffentlich darauf reagiert, passiert eher selten. Einen kampfeslustigen Disstrack widmet Polo G den Hatern allerdings nicht, sondern reagiert auf denkbar souveräne Art und Weise: Er lässt sich nicht beirren und macht einfach weiter wie zuvor. "Piano G", untermalt von einer ganz besonders auffälligen Klavierbegleitung, liefert den Grund, weshalb er so gerne auf Klavier-Beats rappt: Weil er es kann. Und weil dieser Sound nun mal ziemlich gut zu autobiographischen Texten passt. "He had it hard, now he's telling his story. Speak from the heart and I just tell 'em 'Record me'", rappt er über triumphale Klavier- und Streicherklänge.
Dabei ging die erste Single in eine völlig andere Richtung. Das mit Sicherheit ganz schon kostspielige und alles andere als subtile Michael Jackson-Sample in "Bad Man (Smooth Criminal)" dient als musikalische Ohrfeige und Einladung für Polo G, mal so richtig die Sau raus zu lassen. Wer hier auf den Geschmack gekommen ist, findet dieselbe Energie auch auf "Start Up Again (feat. Moneybagg Yo)" und "Unapologetic (feat. NLE Choppa)" vor. Besonders NLE Choppa macht seinem Name alle Ehre und rattert seinen Vers wie ein Sturmgewehr herunter.
Zu Polo Gs Stärken gehören sein melodischer Rap, seine gesungene Flows und Hooks, die mit häufig ebenfalls melodischen Klavier-, Gitarren- oder Streicherklängen harmonieren. Eigentlich reicht sogar schon eine Ukulele als Begleitung, begeistern die Akustikversionen seiner Songs mit Einer Bankz doch sogar ganz ohne Drums, Autotune oder sonstige Elemente Millionen Menschen. Wenn er will, kann er aber auch anders: Auf "Black Man in America" zum Beispiel mutiert Polo G zum Conscious Rapper, artikuliert jede Silbe ebenso messerscharf wie präzise und vermittelt dabei seine Sicht auf Bandenkriminalität und Diskriminierung. Das Schlusswort gehört dem ermordeten Bürgerrechtler und Black Panther-Aktivist Fred Hampton.
"Alright" beschließt die erste (und neue) Hälfte von "Hall Of Fame 2.0" besinnlich und optimistisch. Angesichts der in der Regel häufig niedrigeren Qualität von nachgeschobenen Deluxealben und B-Seiten im Hip Hop übertrifft "Hall Of Fame 2.0" die Erwartungen. Die 14 neuen als "Bonus" fast schon verschwendeten Songs hätte Polo G auch problemlos als komplett neuen Release verkaufen können.
Im direkten Vergleich mit der Standardedition zeigt sich außerdem mal wieder, dass zu viele Köche den Brei verderben. Insbesondere, wenn die Köche fast ausnahmslos aus der ersten Garde des aktuellen Mainstream-Raps stammen. "For The Love Of New York (feat. Nicki Minaj)" zum Beispiel tanzt ziemlich aus der Reihe und lässt sich mit Fug und Recht als Totalausfall bezeichnen. Auch die Kooperationen mit The Kid Laroi und DaBaby wirken nicht unbedingt organisch, sondern eher wie Ideen eines Label-Verantwortlichen.
Mit "RAPSTAR", "Epidemic" und "GANG GANG (feat. Lil Wayne)" hat Polo G gleich drei Hits gelandet, von denen sich insbesondere "RAPSTAR" im Mainstream-Gehör festsetzte. Wenige Hip Hop-Songs wurden dieses Jahr häufiger gestreamt als die Dreifach-Platin-Single mit dem zurückgelehnten Ukulele-Trapbeat.
Auch im vierten Jahr seiner musikalischen Karriere macht der erst 22-jährige Polo G fast schon erschreckend wenig falsch. Zwar handelt es sich weder bei der im Juni veröffentlichten Standardedition noch bei "Hall Of Fame 2.0" um makellose Meisterwerke, aber es bereitet einfach Spaß, diesem versierten Storyteller zuzuhören. Polo G gehen die melodischen Flows noch immer nicht aus, er wird seit jeher mit abwechslungsreichen Beats versorgt und hat eine selbstbewusste, aber sympathische Persönlichkeit.
Seine Stimme, seine Rapskills und seine eigene Vergangenheit ermöglichen es ihm, die gesamte Bandbreite von gefühlvollen Liebesliedern bis zu hartem Straßenrap authentisch rüberzubringen, was ihn zu einem der vielseitigsten US-Rapper der Gegenwart macht. Insgesamt stecken in "Hall Of Fame 2.0" 14 starke Bonus-Tracks, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienen, und eine Standardversion mit einigen unnötigen Gastbeitragen, aber dafür mehreren gelungenen Hits und Deepcuts.
1 Kommentar
Bei den Alben auf dem Künstlerprofil fehlt "The Goat".