laut.de-Kritik
Draußen 2006, drinnen 1994.
Review von Michael SchuhMan glaubt es kaum, aber es ist so: Das heutige Line-Up von Primal Scream ist dasselbe, das vor vier Jahren den halluzinogenen Monstertrip "Evil Heat" zu verantworten hatte. Wie der Albumtitel "Riot City Blues" unschwer andeutet, wird nun wieder gerockt, und zwar ohne großen Synthie-Schabernack. Live eingespielt in den Londoner Olympic Studios in lässigen zehn Tagen. Rock'n'Roll.
Die Rückbesinnung kommt nicht ganz von ungefähr: Bobby Gillespies Mannen hatten letztlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder man unternimmt den waghalsigen Versuch, den Freak-Kurs der letzten beiden Alben "XTRMNTR" (2000) und "Evil Heat" (2002) noch zu toppen. Oder man besinnt sich, hält inne, geht in sich, und entdeckt dort wieder das zarte Pflänzchen der Liebe zu den frühen Rolling Stones, dessen Gedeihen zuletzt die Herren Two Lone Swordsmen und Kevin Shields verhinderten, indem sie die Gießkannen unter ihren Keyboard-Burgen versteckten.
Wir notieren: Primal Scream klingen heute wieder wie 1994. Und damals klangen sie bekanntlich wie 1972. Das ist schön und erhärtet gleichzeitig die These, dass die Vorabsingle "Country Girl" allenfalls das Versprechen für die wahre Keule im Album-Format darstellte. Willkommen also zu Teil zwei (oder drei, je nach Ansicht) der ausgelassenen "Exile On Main Street"-Party mit freiem Eintritt für Gäste mit Hammond-Orgeln, Mundharmonikas, Tambourinen und sonstigen Schellen. Bobby Gillespie lässt auch mit 41 noch richtig die Korken knallen und komponiert ungeniert Refrainzeilen, die "We're Gonna Boogie" oder "Let's Have A Good Time" lauten. Wofür Metaphern wie "I feel like Christ on the cross with a loaded gun" stehen sollen, weiß er sicher selbst nicht, aber Primal Scream waren auch noch nie Anwärter auf den Poesie-Preis.
"Riot City Blues" macht größtenteils Spaß: "Nitty Gritty" ist das neue "Rocks Off", auf "Little Death" wäre sogar Jim Morrison neidisch, und wenn ein Song wie "Dolls (Sweet Rock And Roll)" beinahe 1:1 auf den Akkorden von "Brown Sugar" fußt, kann auch wenig schief gehen. Weil es den Schotten alleine im Studio traditionell meist zu langweilig ist, durften diesmal Echo & The Bunnymen-Gitarrist Will Sergeant ("When The Bomb Drops Down") und The Kills-Furie Alison Mosshart einlaufen.
Letztere kreischt im Dirty Ass-Rock'n'Roller "Suicide Sally & Johnny Guitar" der Marke Jon Spencer im Background, ein Song übrigens, der ausdrücklich nicht von Pete Doherty und Kate Moss handeln soll, obwohl er auch noch mit so eindeutigen Worten wie "amphetamine", "choke", "shot", "pills" und sogar "overdose" bestückt ist. Die Parallele ist ja auch zu schön, da Kate noch vor vier Jahren todesengelsgleich das grandiose "Some Velvet Morning" mit Bobby Gillespie einhauchte, bevor es sie in die Arme jenes Mannes trieb, der heute einen Lifestyle pflegt wie Gillespie im Jahr 1994. An die Speedball-Snacks mit Edel-Junkie Dave Gahan will sich Bobby heute nicht mehr so gern erinnern, das Scream-Album jener Zeit ist auf "Riot City Blues" jedoch allgegenwärtig.
Vor dem arg pathetischen Abschlusssong schickt "Hell's Coming Down" mit massiver Unterstützung von Bad Seeds-Stammgeiger Warren Ellis noch eine Boogie-Grußbotschaft an Johnny Cashs Nashville ab, was sinnvoller nicht sein könnte: Dort entstand 1994 die Primal Scream-Platte "Give Out But Don't Give Up". Gäbe es die nicht, man müsste "Riot City Blues" in den Himmel loben.
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