laut.de-Kritik
"Ist dieser Mann der Depp der Nation?" Queens späte Rache am NME.
Review von Michael SchuhDie Feierlichkeiten zum 40. Bandjubiläum von Queen nehmen scheinbar kein Ende. Bereits vor drei Jahren bereitete man sich hinter den Kulissen auf das epochale Ereignis vor, packte sämtliche Singles seit 1971 in schicke Singles-Collectors-Boxsets und trennte sich im Folgejahr endlich vom unscheinbaren Freddie Mercury-Ersatz Paul Rodgers.
Ab da war der Weg frei für die aufwendigen Remasters-Editionen sämtlicher Studioalben, die 2011 die Plattenläden fluteten, für die Ausstellung "Stormtroopers In Stilettos" und das in Arbeit befindliche Biopic mit Sacha Baron Cohen in der Rolle des großen Freddie. Mitte des Jahres flimmerte außerdem die zweiteilige Dokumentation "Days Of Our Lives" auf BBC über den Schirm, die nun mit Bonusmaterial auf DVD und Bluray erhältlich ist. Natürlich auch lieblos in den zwei TV-Teilen mit jeweiligem Abspann aneinander geklatscht.
Somit ist das zweistündige Special sicher nicht das geworden, was das Cover als "definitive Dokumentation" dieser einmaligen Gruppe anpreist. Man muss den Machern aber zugute halten, dass sie im Rahmen der Möglichkeiten eine unterhaltsame Doku erschaffen haben, die tatsächlich einige Live-Aufnahmen und Interview-Sequenzen bietet, die selbst der Hardcore-Fanzirkel noch nicht kennen dürfte.
Die Anzahl der Anekdoten aus 30 Jahren Bandgeschichte kann sich sehen lassen. Wer etwa bislang dachte, dass Morrissey der größte noch lebende Feind des britischen NME ist, irrt gewaltig. Roger Taylor und Brian May, die ewigen Konkursverwalter dieser vergilbten Rock-Legende, geben zwar vor, sich nicht mehr an Sex- und Drogengeschichten zu erinnern, sehr wohl aber noch an ein NME-Interview im Jahr 1977.
Es stand so einiges auf dem Spiel für die Band damals: Der "Night At The Opera"-Triumph lag schon wieder zwei Jahre zurück und die aufkommende Jugendbewegung Punk katapultierte kostümierte Glamrocker wie Queen aufs Abstellgleis.
Also lud Mercury die britischen Hofberichterstatter von The Clash und Co. in die um einiges luxuriöseren Gemächer seines Managers John Reid, gewährte ihnen eine ausgiebige Audienz und musste danach die Artikel-Überschrift lesen: "Ist dieser Mann der Depp der Nation?"
Lachend erinnert sich auch der damalige NME-Chefredakteur an diese Phase, in der das Blatt nach eigenen Angaben sämtliche Rock-Gruppen der alten Zeitrechnung in Grund und Boden schrieb (in der Plattenkritik zu "A Day At The Races" hieß es: "Ich hasse dieses Album.).
Die Hauptpersonen Roger Taylor und Brian May zeigen keine bislang unbekannten Facetten ihrer Persönlichkeiten: May ist der väterlich staunende, distinguierte Erzähler mit dem Duktus eines Pressesprechers, für den die Band nie auch nur den kleinsten Fehler begangen hat.
Der ergraute Frauenschwarm Taylor gibt sich da schon kritischer und bedauert zumindest in Ansätzen die Entscheidung, sich 1984 dem Kultur-Boykott der Vereinten Nationen widersetzt zu haben und im damaligen Apartheid-Staat Südafrika Konzerte gespielt zu haben.
Schön auch seine Erinnerungen an die wohl legendärste Tournee-Party 1977 in New Orleans, deren nächtlicher Wahnsinn bislang vor allem auf Fotos mit unglaublich kostümierten Teilnehmern erahnt werden konnte. "Am nächsten Tag ging es mir nicht so gut", fasst Taylor seine Erinnerungen kompakt zusammen, und ergänzt dann: "Ein Party-Highlight war ein Kleinwüchsiger, der nackt unter dem Wurstbuffet lag. Man sah ihn nicht im Vorbeigehen, aber sobald man eine Wurst oder gehackte Leber auf den Teller lud, wackelte sein Körper, das war seine Nummer."
"Days Of Our Lives" beleuchtet auch die heute längst in Vergessenheit geratenen Bandphasen, in denen die Rock-Legende nicht mehr angesagt war. So war der 20-minütige Live Aid-Auftritt 1985 nicht weniger als das brilliante Comeback einer kurz vor der Trennung stehenden Gruppe, die sich nach Mercurys Soloalbum "Mr. Nice Guy" und dessen anhaltender Begeisterung für Discomusik nicht sicher war, ob es noch eine musikalische Zukunft hat.
Gegen Ende wird der Ton dem Plot entsprechend zunehmend trauriger. Eingeblendete Fotos der Boulevardpressebelagerung um das Anwesen Mercurys kurz vor dessen Tod schüren den Hass gegenüber der Murdoch-Presse. Ein Zitat des Sängers zum Thema Aids im Jahr 1983 fasst die Tragik seines frühen Todes präzise zusammen. Gefragt, ob er seinen Lebensstil angesichts der 'neuen Krankheit' Aids ändern würde, entgegnete Freddie: "Darling, meine Haltung dazu ist: Fuck it! Ich mache weiterhin alles und zwar mit jedem."
12 Kommentare
Damals als ich als zehnjähriger Queen entdeckte und sie zu meiner ersten wirklichen Lieblingsband heranreifte, war John Deacon für mich der unscheinbare Mann im Hintergrund. Heute ist er für mich der Größte der verbliebenen Mitglieder.
All hail to John Deacon!
@jenzo1981: Ab-so-lut!
Queen ist mit Freddie gestorben...eigentlich. Aber die Herren May und Taylor woll(t)en die gewinnbringende Maschine nicht abschalten. Da ist man nochmals froh, daß es zumindest noch Menschen mit Format á la John Deacon gibt!
Danke Mr. Deacon!
hat er nicht zu samantha fox damals gesagt, "I'm just a musical prostitute, darling."? kriege von deinem kritisch-liebevollen text gleich lust auf sheer heart attack
das finde ich auch. in love with my car haut mich immer noch vom sockel. und die beiden may nummern sail away sweet sister oder who wants to live forever sind doch sternstunden der songwriterkunst.
keep yourself alive, tie your mother down, die liste geht noch weiter.
@dein_boeser_Anwalt (« das finde ich auch. in love with my car haut mich immer noch vom sockel. und die beiden may nummern sail away sweet sister oder who wants to live forever sind doch sternstunden der songwriterkunst. »):
Ja, des SONGWRITINGS! Das können sie ja auch gerne weitermachen, nur nicht unter dem Namen "Queen" !
Sie können auch gerne was neues aufnehmen, aber nicht unter den Namen "Queen" !
"May % Taylor" oder so, ist absolut in Ordnung