laut.de-Kritik

Gelungener Balance-Akt zwischen Shania Twain und Young Thug.

Review von

Ende Februar scrollte ich nichtsahnend durch meinen Instagram-Feed und stolperte über ein skurriles Video zahlreicher bis an die Zähne bewaffneter Männer in Sturmmasken, die gut gelaunt zu einer bittersüßen "Fuck 12"-Umdichtung des Rascal Flatts Kitsch-Klassikers "Bless The Broken Road" tanzten. Ebenso verwirrt wie begeistert klickte ich den Replay-Button wund. Lil Nas X hat die "Old Town Road" mit Remix nach Remix zur Autobahn ausgebaut, nur um im Windschatten des mysteriösen RMR zurückzubleiben. Dessen Debüt "Rascal" hievt die viel gelobte Fusion aus Country und Hip Hop auf auf ein Level, in dem Hip Hop nicht nur die zweite Geige spielt, sondern quasi völlig aus dem Klangbild verschwindet. Das einzige, was an die Ästhetik des Sprechgesangs erinnert, ist das grandiose Video.

Dieses Fragment machte jedoch relativ schnell deutlich, dass RMR eben nicht der nächste Stern am Country-Himmel sein will, sondern lieber den Weg weiter geht, den Lil Nas X und Blanco Brown bereits beschritten haben. Dass er das kann, stellt seine Debüt-EP "Drug Dealing Is A Lost Art" unter Beweis. Der Amerikaner balanciert darauf geschickt zwischen Country, Rap und Pop, und hinterlässt einen einzigartigen, bleibenden Eindruck auch wenn er hin und wieder ein wenig das Gleichgewicht verliert.

Begrüßende Worte gibts vom Griselda-Member Westside Gunn, dessen Mini-Feature es jedoch nicht mal gebraucht hätte, um uns mit "Welfare" angemessen einzustimmen. RMRs animierte Wechsel zwischen Flows und Stimmlagen, kombiniert mit seinem Ohr für einprägsame Hooks, fallen bereits auf dem Opener vielfältig aus. Der psychedelische "Dealer" attestiert dies.

Auch wenn sich der Klang dieser Songs deutlich von der Durchbruch-Single "Rascal" unterscheidet, bleibt ein Großteil der Beiträge musikalisch ein absolutes Unikum. Egal ob RMR sich wie auf "Dealer" eher gen Pop-Rap lehnt, oder sich mit dem von Timbaland produzierten "I'm Not Over You" einmal mehr Grashalm kauend aufs Pferd schwingt: Die Musik des Amerikaners gehört ebenso ans Lagerfeuer wie in die Trap. "Drug Dealing Is A Lost Art" atmet gleichermaßen Garth Brooks und Shania Twain wie Future und Young Thug.

Das Bindeglied zwischen diesen gegenteiligen Welten ist die unglaubliche Stimme des maskierten Sängers, über den nach wie vor so gut wie nichts bekannt ist. Folgerichtig wird es vor allem dann uninteressant, wenn RMRs Falsetto auf Sparflamme läuft und er sich mit "Noveau Riche" und vor allem "Best Friend" etwas zu sehr an seinen rappenden Zeitgenossen orientiert. RMRs Formel funktioniert nur, wenn er sich voll und ganz seiner Nische hingibt. Das darf dann wie auf "Silence" auch gerne etwas kitschig ausfallen, solange es seine Originalität untermauert.

Wo es RMR mit seinen nächsten Projekten hinverschlagen wird, ist nach diesen knapp dreißig Minuten absolut nicht auszumachen. Es finden sich gleichermaßen Funken der Genialität wie erste Anzeichen der artistischen Verwässerung. So oder so gehört der Sänger aber bereits jetzt zu den interessantesten Newcomern der jüngeren Vergangenheit. Und so schade es auch wäre, würde er dem Weg eines Lil Yachty folgen, dessen Label peu à peu die Weirdness aus ihm rauspresste: "Rascal" ist einer der besten Songs des Jahres, und das kann uns keiner mehr nehmen.

Trackliste

  1. 1. Welfare (feat. Westside Gunn)
  2. 2. Dealer
  3. 3. Noveau Riche
  4. 4. I'm Not Over You
  5. 5. Silence
  6. 6. Best Friend
  7. 7. Dealer Remix (feat. Future & Lil Baby)
  8. 8. Rascal
  9. 9. Rascal Remix (feat. Young Thug)

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