laut.de-Kritik
Blues, Jazz, Cajun, Country, Gospel und Rock - alles dabei.
Review von Giuliano BenassiRhiannon Giddens, die Sängerin und Banjo-Virtuosin aus North Carolina hat sich in den letzten Jahren zu einer vielseitigen Künstlerin entwickelt. Neben regelmäßigen neuen Alben hat sie eine mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Oper geschrieben ("Omar", 2022), Musik für ein Ballett ("Lucy Negro, Redux", 2019) und vier Kinderbücher, von denen zwei 2022 erschienen sind. Als ausgebildete Opernsängerin hat sie 2017 als Sopran in der multimedialen Hommage an Muhammad Ali, "The Greatest" gesungen, Radiosendungen moderiert und verschiedene Folk-Festivals kuratiert. Mit drei weiteren Künstlerinnen, unter ihnen Leyla McCalla, veröffentlichte sie 2018 das Album "Songs of Our Native Daughters", das sich mit Sklaverei, Rassismus und Frauenhass auseinandersetzte.
Bei all dem hat sich ihre Fähigkeit, Lieder zu schreiben, stark weiter entwickelt. Musste Produzent T Bone Burnett sie auf ihrem Solodebüt "Tomorrow Is My Turn" (2015) noch dazu überreden, wenigstens einen eigenen Song aufzunehmen, bietet sie auf ihrem vorliegenden fünften Werk "You're The One" nun ausschließlich Stücke aus eigener Feder.
Auch stilistisch ist Giddens vielfältiger denn je - wie sie gleich zu Beginn zeigt. "Too Little, Too Late, Too Bad" könnte von Aretha Franklin stammen, hinter dem Titeltrack "You're The One" verbirgt sich eine fröhlich-romantische Liebeserklärung, "Yet To Be" ist ein folkiges Duett mit Jason Isbell.
Letzteres erzählt die Geschichte von einer jungen Frau, die aus dem Süden der USA auf der Suche nach einem besseren Leben in den Norden flüchtet, und eines jungen Mannes aus Irland, der dasselbe tut. Sie verlieben sich und versuchen ihr Glück gemeinsam. Die Überwindung von Grenzen zwischen Hautfarben, Geschlechtern und Herkünften ist ein Thema, das sich durch Giddens gesamtes Werk zieht.
So wirkt es überhaupt nicht merkwürdig, dass "If You Don't Know How Sweet It Is" wie eine Hommage an Dolly Parton klingt. "Another Wasted Life" nimmt die klassische James Bond-Titelmelodie auf, allerdings mit einem kritischen Text. "Who Are You Dreaming Of" klingt wie eine Broadwayballade, "Hen In The Foxhouse“ bietet dagegen Funk. "Wrong Kind Of Right" ist ein Schmachtfetzen in Motown-Tradition, "Louisiana Man" bietet Folk-Jazz mit wunderbar vertracktem Rhythmus. Die abschließenden "Way Over Yonder" und "Good Ol’ Cider" klingen dagegen ganz traditionell.
Eine Vielfalt, für die Giddens eine Gruppe an hervorragenden Musikern zusammenstellte, unter ihnen ihr Lebensgefährte Francesco Turrisi, mit dem sie bereits zwei Alben veröffentlicht hat, und Dirk Powell, mit dem sie "Songs of Our Native Daughters" produzierte. Beide spielen so ziemlich jedes Instrument, das ihnen in die Hände fällt. Zum Einsatz kamen unter anderen auch Bassist Jason Sypher, der Kongolesische Gitarrist Niwel Tsumbu, Streicher, ein Blasorchester.
Um die Produktion kümmerte sich Jack Splash, der schon mit Kendrick Lamar, Solange oder Alicia Keys zusammengearbeitet hat. Er leitet "You're The One" in poppigere Gefilde, als man es von Giddens bislang gewohnt war und übertreibt es manchmal mit der Dichte der Instrumentierung, doch findet er auch neue Facetten in der Stimme der 46-Jährigen.
"Blues, Jazz, Cajun, Country, Gospel und Rock - es ist alles dabei. Ich mag es, dort zu sein, wo sie sich organisch treffen. Es sind fröhliche Songs, und ich wollte, dass sie möglichst viele Leute erreichen, die sie hoffentlich mögen, aber nichts über meine Musik wissen. Wenn sie mich durch diese Platte kennenlernen, hören sie vielleicht auch die weitere Musik, die ich gemacht habe, mit anderen Ohren", so Giddens.
Wie sie 2019 in einer Porträt in der Zeitschrift New Yorker bedauerte, werde sie in den USA hauptsächlich von einem weißen Publikum wahrgenommen. "You're The One" könnte man also als Versuch werten, diese Basis zu erweitern. Auch wenn ihr das nicht gelingen sollte, darf die trotzdem stolz auf dieses Album und ihre beeindruckende Karriere sein.
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