laut.de-Kritik
Schauspiel-Eskapaden aus Coolsville.
Review von Philipp KauseUnter dem 'Great American Songbook' versteht die Welt bis heute die Jazz-Standards der 1930er bis '50er. Storytelling-Köpfen wie Rickie Lee Jones bilden diese All Time-Classics bis heute ein spannendes Terrain. Nun ließe sich gerade mit Blick auf Rickie Lees Produzenten, Russ Titelman, anmerken, dass er selbst dem Liederbuch der USA ein paar absolute Überkracher hinzufügte: "You Can Leave Your Hat On" (Randy Newman), "Ain't Nobody" (Chaka Khan), "Tears In Heaven" (Clapton), ... Er ist die treibende Kraft, die der Karriere der heute 68-jährigen Singer/Songwriterin einen entscheidenden Schubs gab, und er ist derjenige, der ihr eine Jazz-Platte abverlangte. Angeblich die letzten 20 Jahre schon, verraten die beiden in den Liner Notes zum Album.
Darauf gibt es einen ganz eindeutigen Hinweis. "They Can't Take That Away From Me" nahm die Sängerin schon mal auf, 2011, für den Sampler "A Tribute To Billie Holiday", der ist auch insgesamt empfehlenswert und hochkarätig besetzt. Damals erprobte sie sich schon im Feeling, aus der Musik der großen Swing- und Variété-Ära etwas Nerdiges heraus zu schälen, sie für ein übersehenes Talent abzuwandeln: Rickie Lee Jones, eine möglicherweise geniale Synchronsprecherin. Da wiehert, zischt, krakeelt sie, agiert kindlich. Ihre Darstellung von anderer Leute Emotionen ist nicht ihr Kern-Business. Singer/Songwriter zu sein, das heißt ja in der Welt von Cat Stevens, k.d. lang, Sheryl Crow, Suzanne Vega und Konsorten, das eigene Leben in die Musik zu tragen und authentisch den Autor wie den Vortragenden zu verkörpern. Ohne Demokratie-Diskussionen in einer Band, ohne Auftrags-(Ghost)Writer, ohne Firlefanz und Finetuning durch Fremde. Also genau das Gegenteil dessen, was die Songs hier durchlaufen haben.
Die meisten von Rickies Favourites eint, dass Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, Nat King Cole und Tony Bennett jeweils mehrere davon gesungen haben und Auftrags-Komponisten sie einst schrieben. Und: Nö, die vorhandenen müssen nicht die besten Versionen sein, nur weil die Leute so namhaft waren. Wenn "Pieces Of Treasure" eines allen Musikfans zeigt, dann genau das: Man kann's mal anders machen, mehr den Gedanken und Gefühlen beim Entstehen zuhören, so wie die Sängerin sie 'live' vorgibt zu durchleben. Man kann Orchester verbannen und den Sound leise und spärlich ausstatten.
Die New Yorkerin räumt dabei zwar auch nicht so wirklich ab, nominiert sich nicht für die weltbesten Fassungen. Immerhin in einem Fall bei "Here's That Rainy Day", kann man ihr für die zweitbeste Fassung auf die Schulter klopfen. Denn ihre Einspielung rutscht nicht wie so viele andere auf einer Seifenspur des Kitsches aus. Alles weitere erweist sich lediglich als okay, ganz nett - und selbst das vor allem für eingefleischte Fans von Miss Jones. Ihre Interpretationen klingen zwar anders, unterm Strich aber alle nach demselben Strickmuster auf Linie getrimmt.
Keck mit Kurven und Kanten angereichert, das ist die wesentliche Neuerung, das Songbook-Update 2023. Leider rutscht sie allzu oft ins Kindchen-Schema, mit gequältem Näseln und in teils sedierender Slow Motion, bei "It's All In The Game", trotz medienwirksamem Schluchz-Ausbruch, und bei "One For My Baby" hart überdehnt und grenzwertig.
Dass Rickie Lees Platte insgesamt einen intimen Eindruck macht, und gar nicht das große Show-Tam-Tam benötigt, ist etwa bei "Here's That Rainy Day" ein Gewinn. Es bleibt so oder so ein schwaches Lied. Es aufzunehmen, weil der Lieblings-Producer es möchte, hat einen fraglichen News-Wert.
In "One For My Baby" krächzt Jones, als wäre sie ein Teenie auf der Suche nach Coolness durch abgeklärte Nasal-Laute und schnodderiges Auftreten. "The Duchess Of Coolsville" bleibt der Titel, den sie sich im Untertitel der Platte verleiht und der sie schon lange begleitet: Die Herzogin von 'Coolsville', einem Fantasieort, der schon vor den Simpsons auf ihrem Debüt 1979 auftauchte. Coolsville lernt man in dem Lied kennen, als dort September ist.
Apropos September: Der "September Song" hat eine Bandbreite von Fassungen, über die man streiten kann. Die Charmeur-Crooner-Version von Tony Bennett trifft zum Beispiel kaum den Kern des Liedes und bescheidet sich damit zu beweisen, dass Tony a-a-a-ha-halles gibt. Ute Lemper verrichtet 1986 ihren Job, Musical-Gesang als technische Dienstleistung.
Titelman wollte für "Pieces Of Treasure" das Gegenteil, die Instrumente als beiläufigen Service für den Gesang. Bei Ricky Lee Jones enthält das Lied aber noch weitaus mehr an Philosophie, Knabbern an der Endlichkeit der Existenz.
Sie reißt hier ganz behutsam eine Szene auf. Dann switcht sie zwischen weichen Ausdrucks-Modi, Damen-Kaffeekränzchen, weiter zur großen knisternden Stille der Theaterbühne. Und urplötzlich exklamiert sie wieder laut, und dann wechselt sie zum schluchznahen Marianne Faithfull-Timbre einer "Ballad Of Lucy Jordan" und bis zum religiös untermauerten Jaul-Gesang einer Gebets-Kapelle. Ziemlich unnachahmlicher Mix!
"Ich wollte, dass jeder hört, was ich sage, und versteht, wie akut alles kurz vor dem Moment gefühlt wird, in dem es aufhört zu bestehen. Hier gibt's das Blatt im Herbst. Da gibt's den Mond. Hier ist dein Gesicht. Hier wird artikuliert, wie das Leben für alte Leute ist, (...) während sie wissen, dass die Welt den jungen Menschen gehört." - Keifende Weirdness trägt auch "Just In Time", wobei sich hier die Stimme ins Vibraphon bettet, und das einzusetzen ist einer der besten Moves der Platte. Wirklich toll!
Beim It's the singer-not the song-Prinzip kann man sich indes leicht vergaloppieren. Wer allzu bekannte Lieder auswählt, läuft Gefahr, dass andere Fassungen in den Ohren der Hörer*innen schon präsenter sind und bleiben. "Nature Boy" zum Beispiel muss man nicht wirklich noch mal aufnehmen, wenn man nichts zu sagen hat. Zu loben ist der perfekte Raumklang aller Aufnahmen, der zum Beispiel aus "On The Sunny Side Of The Street" einen High-End-Bedroom-Pop macht. Insgesamt musikalisch eine monotone, aber okaye Platte, schauspielerisch derweil ein furioses Teil!
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