laut.de-Kritik
Musik, die Lust auf Musik macht.
Review von Philipp KauseSeit Metallica unter großer Beachtung mit Orchester spielten, gilt die Variante als hoffähig in der Rockmusik. Rod Stewart stand in seinen frühen Jahren mit den Faces schon für das Genre Classic Rock, das anfangs Klassik-Elemente und Rock verbindet: Rock'n'Roll mit symphonischem Anstrich.
"You're In My Heart: Rod Stewart (With The Royal Philharmonic Orchestra)" baut sich als wunderschöne, stimmige und seriöse Neuauflage von vielen der Rod-Hits auf. In "Handbags And Gladrags" leiten Holzbläser und Klavier in den Song so lange ein, bis die Stimmung knistert. Rod sprechsingt mit vertraulicher Erzählstimme, als ob er ein Geheimnis preisgäbe. Die Percussion nimmt Fahrt auf und der Sänger erläutert einer jungen Frau, dass sie nicht auf oberflächliches Materielles, z.B. Handtaschen, reinfallen solle. Auf dem Gipfelpunkt der Empfehlungen läuft das Orchester zur hörnerverzierten dramatischen Hochform auf.
Erfolgreiche Hooklines und tolle Chartbreaker lassen den Taktstock in der Dirigentenhand locker schwingen. "Sailing", "I Don't Want To Talk About It", "Tonight's The Night (Gonna Be Alright)", "Young Turks", "Rhythm Of My Heart" und "Downtown Train" umrahmen die weniger bekannten Songs geschickt. Das elegische "Tom Traubert's Blues / Waltzing Matilda", das kammermusikalisch zurückhaltend inszenierte "You're In My Heart (The Final Acclaim)", das filmmusikalisch und verträumt bis furios klingende "The First Cut Is The Deepest", das klaviergestützte und melancholische "Have I Told You Lately?" und der opulent gestaltete Opener "Maggie May" rollen eine angenehme Bandbreite aus.
Ein Rockversionen-Doppelpack, mit dem Motown-Classic "It Takes Two (+ Robbie Williams)" - Robbie anstelle Tina Turner als Duettpartner - und mit dem Faces-Oldie "Stay With Me" tun der Dramaturgie gut; es rappelt in der Kiste - und nicht nur hier. Wenn subtile, kaminwarme Cello-Begleitung Rods immer noch jugendliche Stimme umgarnt und er leidenschaftlich schmachtet, "You're in my heart / you're in my soul / you'll be my breath / when I grow old / you are my lover / you're my best friend / you're in my soul", bleibt auch die E-Gitarre zum Glück nicht fern. Diese Kombination der Klangwelten unterstreicht auch die Entwicklung des vielseitigen Sängers, der manchmal auch Songschreiber war.
"Young Turks" und "What Am I Gonna Do (I'm So In Love With You)" entstammen seiner Disco-Phase. Das Orchester gestaltet diese beiden einst ähnlichen Stücke ganz verschieden. Auf "Young Turks" stimmt die Philharmonie zaghaft dosiert zu dem beibehaltenen Disco-Beat ein. In dem anderen Song hören wir fein abgestimmten Ensemble-Raumklang. Auf das leise Pizzicato-Intro türmen sich immer breitere Orchester-Flächen auf, erst einmal zwei Celli und eine erste Violine, die zusammen die Melodie vorspielen. Eine Art "Response" des ganzen Streicherkollektivs tönt zurück, und schon ist dem blonden Charmeur mit der Sturmfrisur der rote Teppich geebnet. Wenn er dann "down on my bended knees" geht, wirkt das vor der edlen Soundkulisse äußerst edel und bietet ein gutes Re-Work gegenüber den in den frühen 80ern künstlichen Disco-Geigen. Zugleich schiebt. Zugleich schiebt sich ein vorwärts preschendes Rock-Schlagzeug unter die Saitentöne und bewahrt die Nummer drahtig und dynamisch vor zu viel Kitsch.
Aus dem Zwei-Lieder-in-einem-Song "The Killing Of Georgie (Pts I + II)" erwächst eine mittelschnelle Soul-Ballade. Es geht um einen schwulen Kumpel von Rod, der, nachdem er von seinen konservativen Eltern verstoßen wurde, in New York sein Glück versuchte.
Eines Nachts überfällt eine Gang Georgie in Manhattan und tötet ihn. So wie hier, enthalten viele der Songs tiefere Ebenen. Beim Georgie-Song hört man nun weniger klar heraus, dass sich Part I des Songs im Original rhythmisch und harmonisch an Lou Reeds "Satellite Of Love" oder "Walk On The Wild Side" annäherte.
Jeden Song trägt Rod Stewart mit einer individuell neuen Betonung vor, improvisiert über die alten Stücke mit frischer Kraft, und beweist, dass seine Stimme jedem Lied seinen ureigenen Stempel aufdrückt. Der Sänger mit den Reibeisen-Stimmbändern führt Nicht-Klassik-Fans mit leichter Hand zur Klassik. Er verpasst sanften Songs den richtigen "Drive".
Und er belegt ein weiteres Mal, dass Schlager und Soft-Pop das Eine sind, Rock und Soul das Andere, und auch reine Verliebtheits- und Sehnsuchts-Lyrik mehr verdient als plumpe Synthie-Schleifen.
Rod Stewart hat bei aller Mainstream-Orientierung seine Rock-, Folk- und Soul-Wurzeln immer gepflegt und verlangt dem königlichen Philharmonieorchester überraschende Instrumentierungen ab, die wiederum jedem Lied seinen Kern belassen und keinen unnötigen, sondern nur gut vertretbaren Zuckerguss ausgießen.
Mit dieser CD macht man jedem Rod-Fan ganz sicher eine große Freude unterm Weihnachtsbaum. Und: Unter allen sowieso schon grandiosen Versionen von "The First Cut Is The Deepest", von P.P. Arnold, dem Song-Autor Cat Stevens, Rod Stewart und Sheryl Crow, ist diese hier wegen des glühenden E-Gitarrensolos die beste.
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