laut.de-Kritik
Mit ausreichend Potenzial, um die rockende Hölle loszutreten.
Review von Dani FrommOho! Die Crew, aus deren Reihen Dizzee Rascal empor stieg! Da breitet sich doch unmittelbar ein breites Grinsen auf meinem Gesicht aus. Ost-Londons Aushängeschild unter den Grime-Artists ist nicht mehr mit von der Partie. Er verließ die Truppe gleich zu Beginn seiner Solo-Karriere. Und dennoch: zwei DJs, drei Produzenten und ein Stall voll MCs bergen - zumindest was Personalstärke angeht - ausreichend Potenzial, um die rockende Hölle loszutreten. "Roll Deep is a name and we'll show you."
Von einem typischen Grime-Album kann, betrachtet man die Jugend des Genres, derzeit nur schwer die Rede sein. Roll Deep scheren sich um musikalische Schubladen vermutlich ohnehin einen Dreck. Hier trifft Pop auf Hip Hop- und Dancehall-Beats, R'n'B-Hooks auf Mambo, Gitarre auf Akkordeon und Melodica. Die Scheuklappen lassen wir heute besser im Schrank. Dem arg poppigen Chorus von "Flying Away" folgen Raps, bei denen mir schlagartig wieder aufs Neue klar wird, warum ich britisches Englisch so liebe. Die Herren rollen in absolut unvergleichlicher Weise über den Beat. "The Avenue" mit bombastischen Uuuuh-uuuuh-Backgroundchören, lässt Revue-Gefühle aufkommen. Ich sehe förmlich die Showtreppe und federpuschelgeschmückte, langbeinige Tänzerinnen. Wunderbar, "I found a place to live".
Mindestens ebenso hitverdächtig: "Shake A Leg". Bei Samples aus "Mambo Craze" sollte klar sein, was nun folgt: Die Nummer erweist sich zwar als hochgradig albern, swingt aber unerhört, versprüht gute Laune galore, und an den Rap-Parts bleibt nichts, aber auch gar nichts auszusetzen.
Ahnungen von Raggamuffin zeigen sich in "Show You" (Jenna G setzt den im Vordergrund stehenden MCs gesungene Akzente entgegen) oder "Be Careful"; zum wohl hundertsten Mal frage ich mich, wieviele Rapper hier eigentlich zugange sind. Insgesamt acht, Gäste nicht eingerechnet; davon scheinen in jedem einzelnen Track fünf oder mehr beteiligt zu sein. Im Stil vergleichsweise ähnlich, machen die unterschiedlichen Klangfarben der Stimmen den Reiz aus. Das Tempospektrum reicht vom langsamen, gesetzten Vortrag in der Art von LL Cool Js "I Need Love" (in "Good Girl") über gemäßigtes Nachsinnen über die guten alten Zeiten ("Remember The Days") bis hin zu rasenden Rhymes in "People Don't Know"; hier wird nicht nur der Chorus sondern auch mal eine ganze Strophe gesungen - warum auch nicht?
Immer schön das Unerwartete erwarten: In einer finster-schrägen Produktion wie bei "When I'm 'Ere" ausgerechnet ein Akkordeon einzubauen, ist mit Sicherheit nicht die feine englische Art. Diese Seltsamkeit fügt sich allerdings mit elektronischen Klängen und operettenhaften Gesangsfetzen zu einer durchaus stimmigen Kulisse. Dem sparsam konstruierten, nur auf überaus merkwürdigen Melodicatönen und etwas Gitarre beruhenden "Heat Up" dagegen mangelt es doch an einer guten Portion Wucht.
Auch, wenn die Chart-Tauglichkeit bei anderen Tracks weit höher anzusetzen ist, küre ich "Poltergeist" zu meinem persönlichen Favoriten: Ein hektischer Beat liefert das rhythmische Rückgrat für die gehetzten Raps, das Mic wechselt am laufenden Band den Besitzer, die vorgelegte Geschwindigkeit lässt einen staunenden Hörer zurück: ein wahrhaft prächtiges Finale, mit dem sich auch die dem Pop nicht ganz so gewogenen Grime-Fans wieder versöhnen lassen dürften.
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