laut.de-Kritik
Einfühlsamer, hoch gelobter Folk-Pop aus Kanada.
Review von Giuliano Benassi"Ich habe Mitgefühl für den Fahrer ... dessen Weg ein Kind mit einem Ball kreuzte. Ich habe Mitgefühl für alle Beteiligten, am meisten aber für den Unbeliebtesten. Ich habe Mitgefühl für den Fahrer", singt Ron Sexsmith in Stück Nummer sechs, "For The Driver".
Der ungewöhnliche Text offenbart die Denkweise eines feinfühligen kanadischen Singer/Songwriters und bildet das Herzstück des vorliegenden Albums. Nur von einer klassisch anmutenden Gitarre begleitet, strahlt das Lied zwar Trauer, gleichzeitig aber auch Geborgenheit aus. Wie auch die brüchige, warme Stimme vermittelt es innerliche Stärke - eine Stärke, die notwendig ist, um schwierige Umstände zu meistern.
Das ist die Grundstimmung, die sich durchs gesamte Album zieht. Sein Gerüst scheint nur bei unkonzentriertem Hinhören aus Akustikgitarren zu bestehen, denn bei den Arrangements zeigt sich Sexsmith überraschend vielseitig. So kommen auch elektrische und elektronische Klänge, Klavier, Streicher, Bass sowie ein Schlagzeug zum Einsatz. Das Ergebnis klingt zwar folkig, ist aber mit einem guten Schuss Pop verfeinert. Es ist wohl kaum ein Zufall, dass Sexsmith ein Fan der Beatles ist.
Zwar prägen sich seine Melodien nicht wie die der Überväter auf Anhieb ein, aber sie schaffen es immerhin, sich nach mehrmaligem Hinhören im Gedächnis einzunisten. "Tomorrow In Her Eyes" erinnert entfernt an den Sound von John Lennons Album "Imagine", während sich "Dandelion Wine" den Anschlag der Akustikgitarre bei Paul McCartney ausleiht.
Einen bleibenden Eindruck hinterlassen auch die Texte. "Erfundene Freunde werden dich immer hängenlassen. Und wenn die guten Zeiten vorbei sind, wirst du sie nicht mehr sehen", erzählt Sexsmith etwa in "Imaginary Friends". "Verabschiedungen gehen bei Märchen in Ordnung, aber hier haben sie nichts zu suchen. Hier ist das Böse real, und Kinder verschwinden einfach", heißt es mit einer Spur Verzweiflung in "Wishing Wells".
"Jede Geschichte hat zwei Seiten, wie auch jede Münze. Ich habe Mitgefühl für denjenigen, der sich versteckt und für denjenigen, der ihn verfolgt." Wer sich "Retriever" ein paar Mal angehört hat, entwickelt ein ähnliches Mitgefühl für Ron Sexsmith und seine Musik.
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