laut.de-Kritik

Wenn Gallagher, dann live.

Review von

Wenn ein Mann auf die Bühne gehörte, dann war es Rory Gallagher. Dort ließ der Ire seine schüchterne Persona hinter sich und wurde mit seiner Gitarre zu einer Einheit. Auch wenn er nie die Aufmerksamkeit der Masse auf sich zog, beeinflusste er gleichwohl eine ganze Reihe von Gitarristen, darunter Brian May, Eric Clapton und Slash. Einer Erzählung nach soll Jimi Hendrix ihn in einem Interview mit dem Rolling Stone sogar als besten Gitarristen bezeichnet haben.

Während es einige seiner Liveshows aus den 70ern auf Platte schafften ("Live! In Europe", "Irish Tour '74", "Check Shirt Wizard - Live In '77" etc.) ist Gallaghers Spätphase eher spärlich abgedeckt. "All Around Man: Live In London" schließt diese Lücke. Das Album setzt sich aus den Aufnahmen zweier Konzerte im Londoner Town & Country Club, heute O2 Forum Kentish Town, im Dezember 1990 zusammen. Die Shows waren Teil von Gallaghers Tour zu seinem letzten Studioalbum "Fresh Evidence" aus demselben Jahr.

Dass Gallagher auch fünf Jahre vor seinem Tod noch so eindrucksvoll performte wie zu Beginn seiner Karriere, belegt dieser Konzertmitschnitt. Nach dessen Genuss muss man wohl niemandem mehr erklären, was für ein Talent er besaß.

Mühelos stimmt er das Publikum des ersten Gigs mit raffinierten Licks, einer fehlerfreien Slide-Passage und einem hingebungsvollen Solo auf "Continental Op" auf den Abend ein. Auch "Heaven's Gate" zeigt Gallaghers Talent als Songwriter. Bei ihm spürt man, selbst ohne ihn zu sehen, jedes Mal, dass er seine Soli nicht nur runterdudelt, sondern mit echter Leidenschaft dabei ist. Seine Band ist ebenso eifrig dabei, was sich nicht zuletzt an der Klaviereinlage in "Kid Gloves" bemerkbar macht. Wie bei den allermeisten Kompositionen des Musikers entfaltet sich "Kid Gloves" erst live in vollem Ausmaß.

Nur beim Leadbelly-Cover "Out On The Western Plains" ist dies nicht ganz der Fall, da der Song den Fokus sehr auf den Gesang legt, auf den der Bluesmusiker aber nie das Hauptaugenmerk legte. Umso geeigneter für einen Gig ist dafür die Adaption von Muddy Waters' "Who's Gonna Be Your Sweet Man When I'm Gone" namens "I Wonder Who". Die nimmt zwar nach "Shadow Play" das Tempo, aber nicht die Spannung heraus. Die gesamte Band zeigt sich auf dem bunten, abwechslungsreichen Stück von ihrer besten Seite.

Auf der zweiten Disc ehrt Gallagher außerdem seine Vorbilder Buddy Guy ("When My Baby She Left Me"), Little Richard ("Keep A Knockin'") und Mel London ("Messin' With The Kid"). Aber vor allem "Messin' With The Kid" zieht als spätes Live-Highlight in den Bann. Zwischen den Liedern redet Gallagher wenig, bedankt sich aber immer wieder und nennt die Songtitel. Mit dem Publikum interagiert er stattdessen mithilfe seiner Gitarre. So auch in "All Around Man", durch das er sich mit einer derartigen Energie spielt, dass die Platte fulminant endet.

Möchte man Rory Gallagher kennenlernen, dann am besten durch ein Livealbum. "All Around Man: Live In London" bietet sich dafür genauso an wie das stets hoch gelobte "Irish Tour '74", das trotzdem schwer zu übertreffen ist. Fakt bleibt jedoch: Live-Platten des irischen Ausnahmetalents sind immer gut investiertes Geld.

Trackliste

CD 1

  1. 1. Continental Op
  2. 2. Heavens Gate
  3. 3. Don't Start Me Talkin'
  4. 4. Kid Gloves
  5. 5. Mean Disposition
  6. 6. The Loop
  7. 7. Tattoo'd Lady
  8. 8. The King of Zydeco
  9. 9. Moonchild
  10. 10. Out On The Western Plains
  11. 11. Ride On Red, Ride On
  12. 12. Walkin Blues
  13. 13. Empire State Express

CD 2

  1. 1. Shadow Play
  2. 2. I Wonder Who
  3. 3. Shin Kicker
  4. 4. Middle Name
  5. 5. When My Baby She Left Me
  6. 6. Ghost Blues
  7. 7. Messin' With The Kid
  8. 8. Keep A Knockin'
  9. 9. Bullfrog Blues
  10. 10. All Around Man

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