laut.de-Kritik

Ein beschwingter Tanz durch schwere Zeiten.

Review von

Ein verregneter Freitagnachmittag im Februar, die stressige Arbeitswoche steckt noch in den Knochen und die Sehnsucht nach einem gemütlichen Wochenende auf der Couch begleitet in den Feierabend. Wie gut wäre es, die Anspannung der vergangenen Tage augenblicklich zu lösen? Ganz sachte, fast schon unbewusst, verleitet ein gemächlicher Britpop-Beat über die Kopfhörer dazu, innerlich durch die Bahn zu tanzen. Der rechte Fuß klopft bereits dezent auf den Boden, der ganze Körper wippt verhalten im Takt, ehe ein warmer Refrain das Tor zur guten Laune aufstößt.

Wie selbstverständlich schiebt Sam Fender wieder einmal die Schwere des Alltags beiseite, und das, obwohl seine Lyrics keineswegs belastende Themen aussparen. Zumindest musikalisch besteht die Kernkompetenz des britischen Senkrechtstarters auch auf "People Watching" darin, den Irrungen und Wirrungen des Lebens mit einer gewissen Leichtigkeit zu begegnen. Wie eine körperliche Lockerungsübung ebnen seine Songs den Weg dafür, im Moment zu versinken.

Geradezu beschwingt wagt der Titeltrack den ersten Schritt und kramt Altbewährtes aus der Trickkiste hervor. Tanzbare Rhythmen prägen die Strophen, wohingegen der Chorus einen sowohl instrumental als auch gesanglich wie eine warme Woge davonträgt. Dazu erweisen sich die ersten Saxofon-Klänge als willkommenes Stilmittel, um die groovige Rebellion gegen den grauen Alltag anzudeuten.

Auch wenn der Opener vielleicht eine Schleife zu viel dreht, knüpft er ansatzlos an die wahnsinnig starken Vorgänger-Platten an und baut gleich eine wohlige Komfortzone auf. Innerhalb derer fällt es in der Folge schwer, Hits oder auffällig geschriebene Tracks auszumachen. Vielmehr lebt das Album von einem homogenen Gesamteindruck, von einer Grundstimmung, in der die Zeit nur so verfliegt. Mal mehr, mal weniger melancholisch, pendeln die Songs zwischen Reflexion und Aufbruchsstimmung.

"Chin Up" oder "Something Heavy" wählen den kämpferischen Ansatz. Beide wissen um die Last, die eine jede Lebensgeschichte mit sich bringt. In der Beobachterrolle bemerkt Fender die Sehnsucht in uns allen, die Fesseln des eigenen Schicksals zu lösen, den Ballast der Vergangenheit abzustreifen und nach vorn zu blicken. Egal, wie sehr der falsch programmierte Kopf dem im Weg steht: "I will try to keep my chin up. Oh, my head is bent on bringing me down."

Nicht ausgeschlossen, dass die eigene Verletzlichkeit bloß akzeptiert werden will? "Arm's Length" macht vor, wie sich Blockaden mit geschwungenem Tanzbein abbauen lassen. Der drängende Beat zieht jeden aufs Parkett. Unmöglich, sich dem hoffnungsvollen Geschunkele zu entziehen. Es bleibt eine Kunst für sich, so unaufdringlich mitzureißen.

Dagegen umweht "Nostalgia's Lie" eine flüchtige Traurigkeit. Doch auch die sitzt nicht unlösbar fest, sondern bewegt sich grüblerisch fort. Irgendwo zwischen 90er Radio-Pop und einem Tom Petty-Song. All das mag manchmal ein wenig verschlafen, einen Tacken zu trantütig daherkommen. In der Langsamkeit besteht wohl der wesentliche Unterschied zu vergangenen Auskopplungen des Songwriters. Es geht gemächlicher, weniger wild zu.

Stichwort "wild": Bei aller Lethargie, die Fender in "Wild Long Lie" mit seinem britischen Akzent vor sich herträgt, verpasst er nie den Zeitpunkt, sich aus den Gedankenschleifen herauszuschälen und dem Freiheitsdrang nachzugeben. "I think I need to leave this town."

Wie es sich anfühlt, sich der Aussichtslosigkeit komplett zu ergeben, skizziert "Crumbling Empire" und wandelt desillusioniert umher: "Road like the surface of the moon." Angeschoben von einem stilsicheren Groove, wird der Ruf nach einem Ausbruch aus schmerzlichen Erinnerungen lauter, die Zukunft bleibt ungewiss: "I'm not preaching, I'm just talking, I don't wear the shoes I used to walk in. But I can't help thinking where I'd be, in this crumbling empire." Lieber den Kopf ausschalten!

Der Folk-Vibe mit Mundharmonika und starken Backing Vocals bringt einen schnell wieder zurück ins Gefühl. In "Little Bit Closer" mündet der Hang zur ländlichen Melancholie im orchestralen Setting. Was daraus an Klangkulisse entsteht, erwärmt das Herz. In einer Reihe nachdenklicher Hymnen markiert "Remember My Name" den Abschluss im Rausch der großen Gesten.

Mit diesem Pathos würde das Stück bestens in die Vorweihnachtszeit passen. Streicher unterstützen dezent im Hintergrund, Fender vertieft sich derweil in einen leidenschaftlichen Monolog. "Will you remember my name?", kreisen seine Gedanken über Fragen zur Vergänglichkeit. Seine Stimme allein trägt den Track und lässt ihn bedeutungsvoll heranwachsen. Simpel und unergründlich zugleich. Es braucht Zeit, bis die Botschaft tief eindringt. Erst dann lässt sie sich als würdiges Ende einer Platte anerkennen, die einen durchgehend im Hier und Jetzt verankert.

"People Watching" eignet sich perfekt, um geistig abzudriften, sich treiben zu lassen durch die Höhen und Tiefen in unser aller Biografien. Wer sich umschaut, wer genau hinschaut, muss solidarisch erkennen: Uns eint der innige Wunsch danach, der Schwere des Lebens mehr Leichtigkeit abzugewinnen.

Trackliste

  1. 1. People Watching
  2. 2. Nostalgia's Lie
  3. 3. Chin Up
  4. 4. Wild Long Lie
  5. 5. Arm's Length
  6. 6. Crumbling Empire
  7. 7. Little Bit Closer
  8. 8. Rein Me In
  9. 9. TV Dinner
  10. 10. Something Heavy
  11. 11. Remember My Name

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