laut.de-Kritik
Sein bestes Album seit mindestens zehn Jahren.
Review von Dominik LippeDie Zeiten ausufernder Vermarktungsphasen neigen sich offensichtlich auch im Deutschrap dem Ende zu. Nur einen Tag nachdem er in der Barclaycard Arena mit Rappern wie Chefket, Sylabil Spill und Olli Banjo sowie knapp 15.000 Zuschauern seinen 42. Geburtstag gefeiert hatte, veröffentlichte Samy Deluxe praktisch ohne Ankündigung "Hochkultur". Nach einem letztjährigen Aussetzer und seinem "SaMTV Unplugged" kehrt er damit zu verloren geglaubter Stärke zurück: "Steck' den Stecker wieder rein, startet die Stromzufuhr. Samy ist zurück und bringt euch Bitches Hochkultur."
Mit jahrelang nicht gehörtem Hunger steigt er mit durchschlagendem Battle-Rap ein, der es sich auch erlaubt, weit über das Ziel hinauszuschießen: "Was würd' Amadeus tun? Frag' ich mich, während ich mich wie Mozart fühle." Mit "Requiem" bezieht er sich zwar auf das letzte Werk des Salzburgers, doch das aufgefahrene musikalische Pathos wirkt eher so, als habe Hans Zimmer Überbleibsel seines Soundtracks zur "Dark-Knight"-Trilogie aus dem Archiv geholt. Unterdessen bleibt es ein großes Vergnügen, Samy Deluxe dabei zuzuhören wie er mit variablem Flow durch die Produktion pflügt.
Die folgenden Songs fallen mehr als eine Spur kleinlauter aus. Mal bemängelt er auf entspannte Weise fehlende Entfaltungsmöglichkeiten, die mit einem allzu starren Image einhergehen ("Maskenball"), mal begleitet eine einsame Trompete den steinigen Weg, den der "(Ein)Wanderer" beschreitet. In "Abendlicht" wehrt sich der Hamburger trotzig gegen Kritiker: "Manche meinen, ich hätte meinen Zenit schon überschritten." Doch die vermeintliche Selbstsicherheit löst sich in der für ihn deprimierenden Erkenntnis auf: "Tief im Innersten weiß ich, dass es leider nicht ewig so weitergehen wird."
Geldfixiert gibt sich Samy Deluxe in "Gewinne". Zu einem nervös treibenden Instrumental fährt er die Ellenbogen aus. Geschickterweise lässt sich der Rapper dabei selbst eine als Kritik an der kapitalistischen Rücksichtslosigkeit interpretierbare Hintertür: "Nicht jeder hier kann gewinnen, offensichtlich. Irgendjemand muss verlieren, ich hoffe ich nicht." "Suppengabel" vollbringt das Kunststück, sowohl den Neoliberalismus zu beanstanden als auch für das Steuermodell der FDP zu werben: "Es lohnt sich nicht aufzustehen, denn du weißt, nichts bleibt hängen."
"Ihr habt einfach kein' Respekt vor dem weiblichen Geschlecht", moniert Samy Deluxe in "Muttersprache" die misogynen Texte seiner Kollegen. Dabei kann sich mangelnde Wertschätzung für Frauen auch in ganz anderer Form offenbaren. Max Raabe, der nach seinem Besuch in Kummers "KIOX" Gefallen an Hip Hop-Kollabos gefunden zu haben scheint, tritt als einziger Gast in Erscheinung. Oder zumindest weist die Trackliste nur den Bariton-Sänger aus. In Wahrheit ziehen sich weibliche Artists durch das gesamte Album.
Nenas Stimme mag noch als Sample durchgehen, aber Bibi Bourelly übernimmt einen ganzen Part auf "Championsound". Laura López Castro füllt die Lücken zwischen den Trap-Strophen des Hamburgers in "Digame", und die weithin unterschätzte Fantasma Goria erhält nicht nur ihren markanten Auftritt in "Suppengabel", sondern streut ihre gerne ins operettenhafte ausschlagende Stimme über das "Intro", "Requiem", "Privilegiert", "Autopilot", "Gewinne" und "Fame (Das Music-Kill)". Leider genügt dies noch immer nicht, um auf ihren Spotify-Kanal zu verlinken.
Das verwundert angesichts der letzten beiden Songs, die Samy Deluxe' eigene Dünnhäutigkeit und seinen Durst nach Bestätigung behandeln. Stetig schwankend zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, kämpft der Rapper in "Hochmut" mit seinem Ego. In "Fame (Das Music-Kill)" bemängelt er die Nebenwirkungen des Stardoms. "Ich bin so sensibel, fass' mich bitte an mit Samthandschuhen. Hab' so viele Luxusprobleme und such' noch Mitgefühl", gibt er mit durchaus selbstironischem Einschlag preis. Dazu steigert er sich exzellent in einen Busta-Rhymes-Flow hinein.
"Verehrte Publikum, Sie waren Zeuge von 'Hochkultur'." Der abschließend einsetzende halbherzige Applaus des überschaubaren Auditoriums setzt einen gelungenen Schlusspunkt, der die zuvor zelebrierte Selbstherrlichkeit des Rappers relativiert. "Hochkultur" erweist sich als technisch anspruchsvolles, vielseitig produziertes und inhaltlich breit gefächertes Album, das streitbare, aber nicht reaktionäre Thesen aufstellt. So gelingt Samy Deluxe mindestens sein bestes Album seit "Dis Wo Ich Herkomm" und damit eine schöne Überraschung zum Abschluss des vergangenen Jahres.
12 Kommentare mit 19 Antworten
Hui! Mal abchecken.
"Verehrte Publikum, Sie wahren Zeuge von 'Hochkultur'."
Das ist allerdings schon ein peinlicher Vertipper
alter, fuck. wie konnte mir denn DAS durchrutschen. danke, luchsauge of the day.
Review trifft es gut! Nach den sehr durchwachsenen letzten 10 Jahren flowt er endlich nochmal auf Albumlänge anständig! Und auch die Beatauswahl ist gelungen, was ja auch nicht immer selbstverständlich war, wenn nicht gerade Dynamite und Tropf für die Produktion verantwortlich waren (man denke an Männlich...)!
Und auch das Albumcover ist durchaus... gewöhnungsbedürftig!
Würde nachträglich noch gut in 2 Bestenlisten hier bei laut.de passen:
- Hip Hop Alben des Jahres 2019
- die hässlichsten Albumcover 2019
https://www.youtube.com/watch?v=sgTIxbcvSgE
never forget
Review ist auch meiner Meinung nach sehr zutreffend und gut geschrieben. Hochkultur ist stark, inhaltlich als auch technisch. Dass die Damen nicht erwähnt werden, insbesondere Fantasma Goria, dessen unique Merkmale sich durch die komplette Platte ziehen, finde ich allerdings schwierig. Man höre nur mal das Intro von Priviligiert, dann weiß man bescheid.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.