laut.de-Kritik

Best Of The Rest.

Review von

"Sentient" ist eines der besseren Santana-Alben, aber kein Wunder: Es ist eine Best-Of oder zumindest eine Art Best-Of, auch wenn "Sentient" sich nicht diesen Anschein gibt. Im Grunde ist es ein "Best Of The Rest", eine Zusammenstellung unscheinbarer Beiträge, eigener Geheimtipps des Musikers. Stilistisch folgt die Platte manchen seiner starken LPs der 70er, von denen einige übrigens gerade wieder als Re-Releases den Markt flu(te)ten. Der Gitarrist vertieft sich bisweilen in Jazz-Schnörkel, allerdings solche, die mit Qualität punkten und sich nie in der Länge verlieren. Einen kompakten Rock-Hit gibt es dieses Mal nicht. Wem Carlos Santanas bisweilen manieriertes Gegniedel aus der Zeit geplumpst vorkommt, dem kann man aber einiges entgegen stemmen.

Rauchigen Blues mit psychedelischem Touch zum Beispiel, eingebettet in Latinjazz-Funkyness. Diese Mixtur finden wir in "Please Don't Take Your Love", damit lässt sich etwas anfangen. Noch mehr Power kommt bei einer anderen Wiederentdeckung ins Spiel: Einige ultra-brillante Aufnahmen mit Miles Davis entstanden 1996. Damals scharte der italienische Tasten-Crack Paolo Rustichelli alias 'Mister Hypnofunk' die beiden Stars und Sound-Genie Bernie Grundman um sich und unterlegte sie aufs Smootheste mit seinen atmosphärischen Harmonien. Von "Vers Le Soleil" über "Get On" bis "Rastafario" schneidet Miles wie ein Laser-Strahl mit seiner Trompete durch die brettharten Gitarren-Riffs des Woodstock-Meisters. Selten merkt man so sehr, wie sexy Fusionjazzpop klingen kann. Zugegeben, ein bisschen Lounge-Charakter hat es. Aber durch die inbrünstige Art, wie die Jungs hier in ihren Noten versinken, entsteht unnachahmlich viel Ausstrahlung.

Das wundervolle "Stranger In Moscow (Live)" führt vor Ohren, was für ein genialer Komponist Michael Jackson manchmal sein konnte. Das Auditorium jubelt hier insbesondere beim Hochjazzen der Lead Guitar. Santana verwendet eine alte Konzert-Aufnahme, von Mitte der 2000er. Sie war bisher nicht erschienen, gehört aber unter die Leute gebracht.

Carlos traktiert seine Sechssaitige mit Stakkato, Verzerrung und Rumpeln. Außergewöhnlich jammen hier aber auch die anderen: Die fordernd wummernde Allround-Bassistin Angeline Saris, der sphärisch die Crowd mit akustischen Nebelschwaden einlullende Keyboarder Frank Martin und der super-elastisch trommelnde Narada Michael Walden - zuletzt Producer von Journey -, sie bilden hier ein Spitzen-Team. Und bei "Stranger In Moscow (Live)" bleibt es nicht, wenn es um Michael Jackson geht: Mit "Whatever Happens" ist auch eine Zusammenarbeit vertreten, bei der Jackson singt und die auf seiner gleichnamig benannten Kollektion enthalten ist.

Der nächste große Name für eine große Tat lautet Run DMC. Der Rapper pimpt einen Track vom letzten Santana-Album, den "Song For Cindy", und entspinnt daraus "Let The Guitar Play". Er lässt eine längere Abhandlung über den eigenen Job herab prasseln, erzählt, wie man Musik macht, wie sie entsteht, wirkt usw. Das fantastische Aufeinandertreffen des Rappers mit einer vollbesetzten Band lenkt jedoch kaum von der Wummer-Lead ab. Denn Santanas Stromstöße rücken in jedem Song immer oder phasenweise in den Mittelpunkt, obschon der Gastgeber selbst eine solche Intention ausdrücklich abstreitet. Sieben Jahrzehnte Klampfen-Erfahrung lassen sich gerade hier überdeutlich heraus hören, so dass der Stardom- und Profi-Effekt zu viel des Guten scheint. Übertrieben professionell, teflonmäßig, kugelrund und wie geschmiert - so kann man Werbe-Spots drehen. Aber fehlt da nicht bei der Musik dann der Überraschungseffekt? Lohnens- und lobenswert sind aber die Fender Rhodes, die viel Heimeligkeit entfachen und dem Song zumindest Spannung zwischen den aalglatten Polen des perfekten Rappers und des perfekten Gitarristen verleihen.

Auf Wah-Wah-Kurs setzt Carlos an der Seite der erwähnten Cindy, seiner Ehefrau Cindy Blackman Santana, in "Coherence". Mit ihrem ziemlich harten Getrommel kontrastiert sie den Chef am energischsten von allen mit einem Gegenentwurf. Im letzten Drittel des Tracks vergräbt sich das gemeinsame Spiel in angenehm reduzierten, abwartend-neutralen Tönen. Sowas tut durchaus mal gut inmitten der oft sehr bedeutungsschwangeren Soli-Abfolgen von Señor Devadip.

Die Ehefrau vor Cindy heißt Deborah. Mit ihr hat Carlos drei Kinder. Seinem Sohn Salvador widmete er 1987 eine Mischung aus Keyboard-Lullaby und Gniedel-Feuerwerk, den "Blues For Salvador": Da war Salvador drei Jahre. Er und seine beiden Geschwister zogen übrigens auch ins Showbiz, sei es in die Musik- oder Filmbranche. Besagter Sohnemann jammte auf dem letzten Album des Papas mit.

Der älteste Bestandteil in der Archiv-Ausmistung ist der Softsouler "I'll Be Waiting", der mal bei einer Veröffentlichung auf CD nachträglich der 1977er-LP "Moonflower" beigefügt wurde. Was keinen Sinn ergab. Denn "Moonflower" war ein Live-Album, gar eines dieser ikonischen, denen es nichts hinzuzufügen gibt. Dieser Song ist hingegen eine Studioaufnahme, hat demzufolge mit der Tour wenig am Hut. Hier besticht die Performance als Sänger: Carlos gibt sich vielfarbig, interessant, mal flehend, mal mit Al Jarreau-Timbre, bisweilen locker mit Mund und Stimmbändern spielend. "Ba-ba-beep-badoo-da" lautmalt er, dann erhält die Gitarre noch Platz für ein kompaktes Solo. (Achtung, an die Vinyl-Interessierten - auf dem schwarzen Plastik fehlt der Track.)

"Sentient" zu hören ist wesentlich eher einen Versuch wert als beim 2021er-Studioalbum, von dem (mir) lediglich eine Coverversion, ein politischer Gastgesang und eine Trommel-Strecke haften blieben. Beweisen muss sich Carlos Santana mit seinen 77 Lenzen indes nichts mehr und braucht gar nicht zwingend neue Ideen. Er hat ja Recht: Vieles aus seinem üppigen Schaffen ging sowieso unter, oft das Tolle (während das schrecklich seifige "Maria, Maria" reüssierte). Natürlich darf der Publikums-Magnet mit Fug und Recht in seinem eigenen großen Katalog stöbern und seine subjektiven Highlights benennen. Das, was er relevant findet. Längst hat er eine jüngere Generation zum Kooperieren begeistert und für sich Charts-Revivals ausgelöst, die ihm wohl keiner vorhersagte.

Um es einzuordnen: Der Mexikaner, der sich mit 18 Jahren in den USA einbürgern ließ, beackerte lateinamerikanische Rhythmen, Afrika, kollaborierte mit Leuten aus verschiedensten Ländern und Stilen von Blues über Metal bis Dancehall und R'n'B, öffnete sich Hip Hop, vereinte ein Hardrock- mit einem Jazz-Publikum, verzeichnete im Herbst 2005 mit einem Auftritt bei "Wetten dass...?" satte 40 Prozent TV-Marktanteil. Er ließ sich von Hochkarätern aus der ersten Liga produzieren, Rick Rubin, Clive Davis, Jerry Wexler, Shakira-Hitmaker Lester Mendez, führte außerdem selbst Regie. Hinter sämtlichen seiner Platten thronten finanzstarke bis riesige Firmen, Arista, Bertelsmann, Columbia, Concord, Polydor, RCA und so fort. Was kann man also mehr wollen? Nun, doch, da gibt es eben eine Sache. Noch nie hat der Bandleader auf einem Indie- oder gar einem Indie-Jazz-Label etwas heraus gebracht. Das tut er jetzt, mit mehrheitlich Instrumentals. Dieses Resultat klingt hellwach verträumt, wie meistens, und insgesamt sehr gut. Sollte diese Scheibe sein letzter Release sein, ist sie ein würdiger.

Trackliste

  1. 1. Let The Guitar Play
  2. 2. Stranger In Moscow (Live)
  3. 3. Whatever Happens
  4. 4. Please Don't Take Your Love
  5. 5. Get On
  6. 6. Vers Le Soleil
  7. 7. Rastafario
  8. 8. Full Moon
  9. 9. I'll Be Waiting
  10. 10. Coherence
  11. 11. Blues For Salvador

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