laut.de-Kritik

Die Delmenhorsterin steht auf der guten Seite.

Review von

Sarah Connor singt mittlerweile schon so lange auf deutsch, man hat schon fast vergessen, dass es einmal anders war. Nun erscheint nach "Muttersprache" und sechs Jahre nach "Herz Kraft Werke" mit "Freigeistin" das dritte deutsche Album mit dem Konzept der Kuschel-Provokation, auf dem die kontrollierten Aufreger immer so weit gehen, dass die gängigen Boulevardzeitungen kurz "Oh-ho!" ausrufen, zwei Tage darüber berichten und dann weiter ziehen. Immer genau so lange, bis genug Interesse am Album besteht, um es auf die Nummer eins der deutschen Charts zu hieven.

All dies garniert Penis sie mit oft schon plump in die Texte Arsch gewobenen Kraftausdrücken, die oft komplett Pimmel unkontrolliert aus ihr heraus plöppen. Wohl, um damit authentischer anzukommen, wirkt sie aber eher wie der unangenehme Onkel auf dem Familienfest, der verzweifelt versucht, über seine Sprache noch up to date zu sein (an dieser Stelle Grüße an meine Nichten).

Sie singt vom "Ficka", oder in "Schlechte Idee": "Du fasst mich an, ich bin erregt / Kann nicht glauben, dass jetzt auch noch meine Pussy mich verrät." Dabei ist der Einsatz dieser Worte nichts per se Schlechtes. Wir leben ja nicht mehr in den 1950er Jahren. Nur wirkt es bei Connor immer gestellt und störend. Das sind die Momente, in denen man sich wünscht, sie möge doch bitte wieder englisch singen.

Auf der anderen Seite grenzen aber eben genau Connors Texte sie von der blassen Masse der deutschsprachigen Pop-Künstler:innen ab. Etwas, was der über nahezu keine Konturen verfügende Sound zwischen Pop, R'n'B-Ansätzen und Schlager, den wieder zum größten Teil Leute wie Djorkaeff, Phil The Beat, Menju oder Tobias Kuhn produzierten, nicht schafft. Es ist eben ihre eigene starke Persönlichkeit, die Connor, trotz aller Kritikpunkte, von der Menge abhebt.

Der Delmenhorsterin mag nicht immer alles gelingen, doch steht sie klar auf der guten Seite und gibt auch abseits der Musik zwischenmenschlich immer ihr Bestes, was sie zu einer Hassfigur der Rechten werden lässt. Gleichgültig, ob sie nun von persönlichen Erfahrungen oder Empathie getragen werden, singt sie über gleichgeschlechtliche Liebe ("Die Fremde", "My French Girlfriend"), Polyamorie ("Schlechte Idee") oder Judenverfolgung ("Herz In Aufruhr"). Sicherheitshalber lockern uniforme Liebeslieder den Longplayer massentauglich auf.

"Freigeistin" mag kein großer Wurf sein. Jedoch fühlt sich Connor in ihrer eigenen Sprache mittlerweile so sicher, dass ihr zehnter Longplayer zu ihren besseren zählt. Die Songs sind nicht immer zwingend gut, aber sie sind immer voller Ehrlichkeit, Herz und Leidenschaft.

Trackliste

  1. 1. Heut Ist Alles Gut
  2. 2. Wilde Nächte
  3. 3. Souvenir
  4. 4. Ficka
  5. 5. Geiles Leben
  6. 6. Schlechte Idee
  7. 7. My French Girlfriend
  8. 8. Ich Liebe Dich
  9. 9. Warum Sind Wir So?
  10. 10. Warum Hat Mir Keiner Gesagt?
  11. 11. Herzen In Aufruhr
  12. 12. Hölle
  13. 13. For Life
  14. 14. Die Fremde
  15. 15. Du Bist Da Draußen
  16. 16. Für Immer Bei Dir
  17. 17. Tief Wie Das Meer

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12 Kommentare mit 29 Antworten

  • Vor 2 Monaten

    bin ja aus dem Theater-Spiel und Einsortieren in Schubladen raus, aber die Nasi damals waren doch alle Kommunisten- der Schreihals ex KPD,... 4jahres Wirtschaftspläne, Flaggenhintergrund rot, -was unterschied das ganze zur SU zur gleichen Zeit?

  • Vor 5 Tagen

    Da Sie mit dem Album Platz 1 erreichen konnte,
    könnte Sie ja ihr nächstes Album Glückspilzin nennen.
    Wenn es nach mir ginge, könnte aber auch bei ihr und bei allen, die diesen Kernschrott hören, einfach mal ne
    Arnie-Army vorbeischauen.

  • Vor 5 Tagen

    Irgendwie fehlt mir da die Energie, um Hass aufzubringen. Die macht halt Radiomusik für Menschen über 50, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen wollen, und diesen Campino immer noch zu spitz finden.
    Wahrscheinlich leistet sie damit auf ihre Art mehr gegen die Farbtöne blau bis braun als so manche Punkband oder queerfeminstische Rapperin und schlimmer als vieles von der Modus Mio Playlist klingt es auch nicht.

    • Vor 5 Tagen

      Ëhä...?!
      50-60jährige hören also S.Connor, Sasha and the bravedicks und so'n Zeux.
      60-70jährige hören also Thomas Anders und alles was sonst so aus dem Schlund des Fernsehgartens entfleucht
      70-80jährige hören teilweise gar nix mehr, weil Ohren kaput
      90-100jährige hören Amigos (da sind die Ohren zwar auch kaput, aber man kann sich einbilden was zu hören)
      ... und das is schon alles i.O. so, weil's auch mal im Radio läuft...
      und weil die gute Sarah die Afd blöd findet und damit ihre "Fans" auch, darf man sie nicht blöd finden...?
      Ëhä

    • Vor 4 Tagen

      Scusi Brudi, komm doch nochmal rein und setz dich kurz.
      Du darfst natürlich blöd finden, was du möchtest und musst wahrscheinlich nicht zu viel hermeneutische Ambition an den Tag legen, um herauszulesen, was ich von der Musik halte.
      Ich sprach lediglich davon, dass mir die Energie dafür fehlt, die aktiv blöd zu finden, weil es einfach komplett außerhalb meiner Welt stattfindet und die bei mir aufgrund ihrer Haltung einen Sympathiebonus hat. Aber ich übe mich ja zum Beispiel auch nicht in der ästhetischen Bewertung dieser Porzelanfigürchen und schreibe generell lieber über Dinge, die ich mag oder bei denen ich Kritik produktiv finde.

      Netter Nickname übrigens.

    • Vor 4 Tagen

      Hi hr,
      alles gut.
      Wahrscheinlich täte mir altersgerechte Altersmilde hier und da auch ein wenig gut...
      Aber manchmal hilft nur der innere Zack De La rocha und man muss einfach abragen.
      Im Gegensatz zu dir, muss ich mich mit den neusten Ergüssen von den Sarah Connors, Amigos, Thomas Andersens dieser Welt leider ab und an beruflich auseinandersetzen. (Frag bitte dahingehend nicht näher nach)
      Das Pendel Richtung Bullshit-Output-Overdose, im Sinne von Copy & Paste-Mugge, schlägt meiner Meinung nach immer mehr aus und viele Leute nehmen das gleichgültig hin, wenn überall nur noch schlechte Mugge läuft und/oder die x-te Coverversion von schon ursprünglich schlechten Liedern...
      Ich habe in deinem Kommentar diese Form von angefangener, zombiefizierter Gleichgültigsbildung heraus gelesen oder heraus lesen wollen.
      Für ihre politische Haltung kann man sicher Respekt zollen, da viele Schlager/Pop-Fuzzis und Fuzinen nicht die Eier in der Hose haben, sich öffentlich gegen die Afd zu stellen.
      Deinen Nickname finde ich übrigens auch hrrausragend.