laut.de-Kritik
Es lebe der Überrumplungsfuror.
Review von Ingo ScheelWenn es einen Song gibt, der dazu angetan ist, auch einen Late Adopter wie den Schreiber dieser Zeilen unmissverständlich am Kragen zu packen und hineinzuziehen, ein Stück wegzuschubsen, um ihn dann wieder zu sich heranzuziehen, an den Schultern in den Sitz zu drücken und ihn verdammt nochmal nicht wieder wegzulassen - dann ist das einer wie "Glass House".
Erst diese kratzigen Boller-Akzente, dann Marissas prägnante Stimme über einer Pixies-Wäscheleine von einem Bass, wieder Geboller, etwas später schließlich die ebenso furiose wie ernüchternde Zeile "You always control me", unisono mit einem Gitarren-Gniedler gesungen - das ist sofort on, das brennt und sprüht Funken, dringlich und im nächsten Moment doch verstörend resignativ: "My life here is a glass house".
Album Nummer sieben, immer noch Don Giovanni Records - das nennt man wohl Kontinuität. Dabei regeln die Screaming Females den Sound immer wieder ein Stück nach, diesmal mit noch einmal gesteigertem Bratzfaktor. "Black Moon" klingt, als hätten Iron Maiden ein Demo bei Steve Albini eingespielt und kurz vor der Fertigstellung Bruce Dickinson gegen PJ Harvey eingetauscht. "I’ll Make You Sorry" changiert, als hätte man zwei Songs übereinander gelegt und "Dirt" mutet an wie eine falsch herum abgespielte Grunge-Ballade.
Ein eigenwilliger Mix ist das, der mal die Assoziations-Maschine anschmeißt, an anderer Stelle qua Überrumpelungsfuror gar nicht erst Zeit für derlei Gedankenspielchen lässt. "All At Once" ist, ich schreibe das jetzt einfach mal so schlicht: im besten Sinne moderne Rockmusik, die sich in eigenwilliges Gewand kleidet und sich kaum zuordnen lässt, dabei aber einiges an Manierismen und Ideen oft genug und völlig skrupellos genau dort klaut, wo es ihr gefällt.
"Chamber For Sleep Pt. I" gemahnt an Television, "Bird In Space" fliegt auf Folk-Flügeln, "Fantasy Lens" hat sich Fugazi auf die Innenseite der Unterlippe tätowiert. Am Ende wirft das Trio mit "Steppin’ Out" Zeilen von schmerzhafter - und leider zeitloser - Aktualität ab: "I'm sick with worry just knowing: when you step outside you won’t be safe". Gut. Schlimm gut, aber gut. Sehr gut sogar.
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