laut.de-Kritik
Gelungenes Comeback mit Vibes, die man schnell fühlen kann.
Review von Philipp KauseSeeeds Vorab-Single "Ticket" kam mit Afrobeat-Highlife-Bläsersatz binnen sechs Monaten auf 2,5 Millionen YouTube-Streams. Der beliebte Name macht's wohl. Denn klanglich knüpft der Song kaum an Hip Hop oder Reggae an. Für die Fusion aus beidem waren die Berliner nicht nur in Deutschland bekannt. Die damals neue Mischung verschafft der deutschsprachigen Gruppe 2002 sogar einen Hit auf Jamaika und auch im Land der Soca-Beats, der Inselgruppe Trinidad und Tobago. Dass "Ticket" dagegen so sehr im Afrosoul vibriert, als erstes Lebenszeichen nach sieben Jahren Pause, ist als Reminiszenz an den verstorbenen Demba "Boundzound" Nabé zu lesen. Auch andere Songs auf dem fünften Longplayer "Bam Bam" biegen punktuell in die Soul-Schiene ein, so das melancholische "Immer Bei Dir (ft. Trettmann)".
Andererseits knüpfen das durchschüttelnd basslastige "G€ld", wie auch "Lass Sie Gehn", "Komm In Mein Haus" und "Lass Das Licht An (ft. Deichkind)" eher an den einst gewohnten Sound an. "Love & Curvoisier (ft. Salsa 359)" sticht als exotische Mischung aus Dancehall und etwas lateinamerikanischem Flair hervor. Eine große Überraschung wartet zum Schluss: Der Song "What A Day" ist auf Englisch, er klingt majestätisch, es spielen Streicher, und zudem kennt man diese Stimme doch. Hier ist Demba a.k.a. 'Ear' zu hören. Posthum verwenden die anderen eine Aufnahme von ihm.
Diese Platte ist das Abschiednehmen. Die anderen Mitglieder hat sein Tod sehr hart getroffen, wie ich Frank 'Eased' Dellé bei zwei Begegnungen, sieben und neun Wochen nach dem Todesfall, anmerkte. Dafür wendet sich die Combo nun erstmals umfassend Feature-Gästen zu, vielleicht um die Lücke zu füllen: Tretti und Deichkind entstammen eher der Seeed-Generation, und während Deichkind für deutschen Rap stehen, hat Ronny Trettmann eine Vergangenheit als Pionier der (ost-)deutschen Reggae- und Dancehall-Szene. Salsa 359 sind noch völlig unbekannt, während Nura, 30, schon fast Seeeds Tochter sein könnte. Gerade der Track mit ihr zeichnet sich als umwerfender Höhepunkt der Platte aus.
Zumal "Lass Das Licht An (ft. Deichkind)" ansatzweise den Sexismus fortführt, der schon früher manche Damen und Herren bei Seeed abschreckte, und zu dem Nura nun einen Kontrast setzt. Zur Erinnerung ein paar Zeilen aus "Ding" von 2006: "An die Bar, ich laber ne Frau an (...) Ooh du hübsches Ding, ich versteck meinen Ehering (...) Tingalingaling you pretty thing." Nuras Antwort zu featuren wirkt wie Selbstironie.
Zudem kracht "Sie Is Geladen (ft. Nura)" auch musikalisch außerordentlich: E-Gitarre wie bei Guns'n'Roses, soulige Riffs, Drum Machine, Trap-Schleifen, Lärm, dicke Beats und eine wütende Liebhaberin: "Denkst du, du wirst hier mit Sekt empfangen? / Ich hab gesagt, du sollst die Wäsche machen (Wäsche machen) / Du kannst draußen gerne Action machen / Doch zuhause gibt es Stress, du Lappen. (...) Wegen dir hab ich ständig meine Tage / und der Sex ist 'ne Blamage." Nura riecht die Alkoholfahne des werten Herrn und sagt ganz reggaekonform "Du killst meinen Vibe!". Nura ist super, auch hier, weil ihre Texte und ihr Vortrags-Style wie echte Dialoge klingen. Sex ist explizit Thema auf drei Songs. Alkohol ist in "Love & Curvoisier (ft. Salsa 359)" hinein recht präsent, dank der französischen Cognacmarke im Titel.
Textlich ist der Track mit Trettmann gemessen an den anderen Titeln outstanding. Schon der bildliche Einstieg "Die Rauchschwaden der Stadt wabern durchs Fenster / Die goldenen Türme schießen nach oben / wo Fassaden und Straßen sich atemlos ändern / Lautlos vibriert mein Mobiltelefon" zieht voll in den Song hinein. Von Trettmanns aktueller Trap-Phase spürt man nur in einer kurzen Bridge etwas, ansonsten kreuzen Seeed hier Dub-Effekte und ein Oldschool-Hip Hop-Instrumental. Eine Kombi, die übrigens auch bei "Komm In Mein Haus" Herz, Beine und Seele anspricht. Wieso die Berliner Seeed und Leute wie der Chemnitzer Trettmann nicht zuvor schon aufeinander trafen, erklärt sich Frank Dellé so: "Es ist bei mir persönlich so, dass ich gar nicht so sehr in der deutschen Szene verankert bin. Dadurch, dass wir Seeed gemacht haben, so lange, haben wir uns wenig noch nebenbei aus der Szene 'krass bedient'. Wir sind ja so als Team, als Band groß geworden. Und dieses ganze Loslösen, mal mit anderen was zu machen, hat sich eigentlich erst nach den ersten zwölf Jahren so ergeben. Dass ich einen Guido Craveiro kennen gelernt habe und mit ihm ein Album gemacht habe, das ist erst dadurch entstanden, dass man sich mal von der eigenen 'Familie' gelöst hat."
Ob nun "Komm In Mein Haus" ein Song über Willkommenskultur ist oder "G€ld" ein Titel darüber, wie manche Menschen im Schlaf Geld verdienen, während andere trotz mehrerer Jobs nicht über die Runden kommen - es handelt sich meist nur um Andeutungen in einer allzu smoothen Verpackung. Klar stehen Seeed links, wen überrascht's. Lyrische Tiefe ist dennoch nicht die ganz große Stärke des Albums. Sondern die Vibes. Sie ziehen sich durch fast alle Tracks. Dass es nostalgisch, wie aus einer anderen Zeit klingt, wenn Songs mit dem Weckruf "This is Seee-eeed!" starten, trägt dazu bei. Die Bässe sind geil. Das Durcheinanderblubbern der Soundeinflüsse bricht all das Festgefahrene auf, das auch jetzt wieder vorherrscht, sei es im Roots Reggae, sei es im Trap. Zwischen all das Immer-Gleiche klecksen Seeed ganz fett und bunt Farbe. Sie beziehen sich ohne Scheu auf Seventies-Soul, sie sind präsent, sie machen eine atmosphärische Platte. Manche Titel verpuffen, "Lass Sie Gehn" etwa. Das Comeback ist also nicht zu 100 Prozent gelungen, aber zu 90 Prozent.
8 Kommentare mit 4 Antworten
Gutes Ding aber auf das Lied mit Deichkind komm ich nicht klar. Klingt wie Kindergeburtstag. Wertung geht klar, hätte ruhig noch 3 Lieder länger sein können das Album.
Hätte 11 Lieder kürzer sein können. 1/5.
„This is Seeed ya“ wird einem zu Beginn jedes zweiten Liedes zugesichert. Auch auf dem Cover steht eindeutig „Seeed“ draufgeschrieben doch das was drin steckt ist zunächst kaum noch Musik die man mit „Seeed“ verbindet. Dies liegt einerseits natürlich an dem tragischerweise viel zu früh verstorbenem dritten „E“. Andererseits aber auch an den Stil Wechseln die die Jungs von Seeed bei jedem Lied begehen.
Man muss an das Album mit der richtigen Einstellung rangehen. Einen „Music Monks“ Nachfolger oder gar ein „New Dubby Conquerers 2“ darf man. nicht erwarten. Vielmehr können einem die ersten handvoll Tracks zunächst eher vorkommen als höre man eine ganz andere Band. Erst nach dem gesellschaftskritischem „Geld“ beginnt man langsam wieder den „Seeed Sound“ herauszuhören. So entwickelt sich das Album ab Track 4 zu einem äußerst spannendem Album mit ein Dutzend verschiedener Stile. Einige Experimente funktionieren besser (Komm in mein Haus) andere nicht (Lass das Licht an). Besonders erwähnenswert ist das Lied „Sie ist geladen.“ Was wie in der Kritik erwähnt wie ein Konterpunkt zu „Ding!“ wirkt aber auch wohlige Erinnerungen an Peter Fox „Zucker“ weckt.
Alles in allem würde ich dem Album drei von fünf Sternen geben. Wie bereits erwähnt kommt es meiner Meinung leider nicht an die großartigen ersten zwei Alben heran aber die stammen auch aus einer musikalisch anderen Zeit und Umständen. Empfehlenswert ist das Album allemalle auch wenn die ersten Lieder vielleicht für manch einen erstmal gewöhnungsbedürftig sind.
3/5. Solides Album, wie eigentlich alle ("Seeed" fällt als einziges etwas ab) seit "New Dubby Conquerors", dessen Qualität die Band leider nie mehr erreicht hat. Einige Totalausfälle sind wohl unvermeidlich ("G€LD", "Love & Courvoisier"), die Features sind Geschmackssache (wer die Gäste nicht feiert, wird mit den zugehörigen Songs auch nicht wirklich warm werden). Die paar Meter, die fehlen, macht der Nostalgiefaktor wett, wird bestimmt noch ein paar Mal durchgehört. Ein richtiger Kracher ist es leider nicht, als Comeback aber durchaus respektabel.
Texte sind wie immer nichts besonderes, stehen den Tracks aber auch nicht im Weg.
Da klingen zwei Stücke wie B-Seiten von früher. Aber wenigstens erinnern diese noch an Seeed. Die restlichen Stücke könnten auch von jedem anderen Idioten kommen, der gerade die Clubcharts für 14jährige prägt. Minimalistische Raggaton-Beats z.B. sind die unmöglichsten Beats, um Songs mit irgendeiner Art von Wiedererkennungswert zu produzieren.
Am meisten gefällt mir noch der Deichkind-Track - einfach weil Deichkind schon ewig nicht mehr so geil waren. Klingt wie eine Weiterentwicklung ihrer ersten beiden Scheiben. Aber auf ner Seeed-Scheibe hat das nix zu suchen.
2/5 wären noch freundlich. Absolut grausam.
Nach "Bam Bam" klingt hier mE nicht viel. Unpassender könnte ein Titel kaum gewählt sein, bei der Langeweile mit der das Album vor sich hinplätschert. War nach dem grausigen Snippet aber auch zu erwarten. Die Features sind alle belanglos und austauschbar, "klassische" Seeed-Songs dafür echte Hinhörer, ich denke da vor allem an "Lass Sie Gehen", "Ticket" und "Komm In Mein Haus". Für das, wofür Seeed mal stand, aber ein deutlicher Rückschritt, deshalb wohlwollende 3/5.