laut.de-Kritik

Lässt einen, wie so vieles in dieser Pandemie, etwas ratlos zurück.

Review von

Ein Livealbum, eingespielt während einer globalen Pandemie - dank Sepultura wissen wir endgültig: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Wobei, allzu viel Liveatmosphäre darf man von "Sepulquarta" nicht erwarten: Touren war natürlich auch für die brasilianisch-amerikanischen Thrasher nicht möglich. Es gibt daher keinerlei Applaus, Publikumsansagen, grölende Massen oder sonstige Konzertatmosphäre zu hören.

Stattdessen holen sich Andreas Kisser, Derrick Green und Co. eine illustre Schar von Gastmusikern an die Seite, mit denen sie in Online-Sessions einmal den Bandkatalog abgrasen. Jeder vor seinem eigenen Rechner. Mit Videos dieser Homeoffice-Session hielten sie die Fans auf ihrem Youtube-Kanal während der Konzert-Zwangspause bei Laune, nun gibt es die Songs auch gebündelt und sauber abgemischt als Album zu kaufen.

Gute Idee, doch das Resultat lässt einen, wie so vieles in dieser Pandemie, etwas ratlos zurück. So spricht zwar nichts gegen die Auswahl der Songs. Alle Schaffensphasen der über 35-jährigen Karriere sind berücksichtigt, von den Achtzigern bis zum neuesten Album von 2020. Zudem kommen neben den üblichen Verdächtigen auch Hits der zweiten Reihe zum Zug. Und selbst an den prominenten oder weniger prominenten Unterstützern ist nix verkehrt.

Aber ohne den visuellen Aspekt geht halt vieles vom Charme dieser Sessions verloren. Der besondere Reiz, wenn befreundete Musiker gemeinsame Sache machen, ist ja die Interaktion, oder bestenfalls: Der Spass am gemeinsamen Jammen. Das gefällt auch an den Videos der "Sepulquarta"-Sessions besonders. Rein klanglich macht es dagegen kaum einen Unterschied, ob nun ein Andreas Kisser ein Gitarrenriff runterreißt oder ein Danko Jones.

Im Fall von Sepultura gibt es diesbezüglich doch einen netten Nebeneffekt: Ist ein zweiter Gitarrist am Start, führt das zu einem satteren Soundbild als gewohnt, wenn Kisser mal wieder ein Solo gniedelt. Und an Gastgitarristen mangelt es dem Album nicht: Alex Skolnick (Testament) pflügt durch das brutale "Vandals Nest", Rob Cavestany (Death Angel) packt bei "Apes Of God" mit an, und der in scheinbar alle Kollabo-Projekte dieser Welt involvierte Anthrax-Zausel Scott Ian beim unverwüstlichen Banger "Cut Throat".

Zu hören ist von der zusätzlichen Manpower mal mehr, mal weniger. Am meisten bekommt man noch von Devin Townsend mit: Mit einem 'Morning!' meldet sich der kanadische Tausendsassa freundlich zum Dienst, um dann "Mask" vom 2011er-Album "Kairos" zu schreddern. Nach Ende des Songs entfährt ihm noch ein 'Aaaautsch!', weil die Finger schmerzen. Es sind nur kurze Lebenszeichen des notorischen Weirdos, die aber eine sympathische Note einbringen.

David Ellefson bedient auf "Territory" den Bass, und sein Beitrag wurde – im Unterschied zu der langjährigen Tätigkeit bei seiner Stammkapelle Megadeth - auch nicht wieder getilgt, obschon ihn ein fragliches Techtelmechtel mit einer sehr jungen Dame ebendiesen Hauptjob gekostet hat. Mitbekommen dürften seinen Einsatz aber nur Eingeweihte.

Den größten wahrnehmbaren Effekt hinterlassen die Gastsänger, die Derrick Green zur Seite springen. Danko Jones übernimmt diese Rolle in "Sepulnation", in "Slaves Of Pain" singt Marcello Pompeu von Korzus, einer von vielen brasilianischen Gästen. Jaja, Sepultura haben ihre bloody roots eben nicht vergessen. Im selben Song mischt auch noch Fred Leclercq (Kreator) an der Gitarre mit.

Gleich drei Gastsängerinnen dürfen im vergleichsweise facettenreichen "Hatred Aside" ran: Fernanda Lira (Crypta), Angélica Burns (Hatefulmurder) und Mayara Puertas (Torture Squad) decken von Screams über Growls bis zu lieblichem Gesang das volle Programm ab. Das ist mal eine Liveversion, die es sich auszuchecken lohnt.

Und weil keine Sepultura-Review ohne Erwähnung von Eloy Casagrande komplett wäre: Der Drummer ist ein absolutes Tier an seinem Instrument und nimmt auf "Sequlquarta" auch einen besonders prominenten Platz im Mix ein. Teilen muss er diesen nur auf "Ratamahatta", dem besonders Percussions-lastigen Vertreter des "Roots"-Albums. Mit Charles Gavin und João Barone schwingen zwei weitere Landsmänner die Stöcke, was im Mittelteil in einem ausgedehnten Jam resultiert. Auch das eine hörenswerte Version.

Trotz dieser achtbaren Ausnahmen bleibt "Sepulquarta" ein zwiespältiges Werk. Ein Quasi-Best-Of, eingespielt im Heimstudio statt in der Halle und mit oft unscheinbaren Gastmusikern. Immerhin sind einige Nummern dabei, die es bisher erst in der Studioversion zu hören gab, wie das atmosphärisch dichte "Fear, Pain, Chaos, Suffering". Eingefleischte Fans werden sich das auch für unterwegs besorgen wollen, alle anderen haben mit den Videos aber mehr Spaß. Sofern sie sich an diese Pandemie und ihre Begleiterscheinungen überhaupt erinnern lassen wollen.

Trackliste

  1. 1. Territory (feat. David Ellefson)
  2. 2. Cut Throat (feat. Scott Ian)
  3. 3. Sepulnation (feat. Danko Jones)
  4. 4. Inner Self (feat. Phil Rind)
  5. 5. Hatred Aside (feat. F. Lira, A. Burns, M. Puertas)
  6. 6. Mask (feat. Devin Townsend)
  7. 7. Fear, Pain, Chaos, Suffering (feat. Emmily Barreto)
  8. 8. Vandals Nest (feat. Alex Skolnick)
  9. 9. Slave New World (feat. Matthew K. Heafy)
  10. 10. Ratamahatta (feat. Joao Barone & Charles Gavin)
  11. 11. Apes Of God (feat. Rob Cavestany)
  12. 12. Phantom Self (feat. Mark Holcomb)
  13. 13. Slaves Of Pain (feat. Fred Leclercq & Marcello Pompeu)
  14. 14. Kaiowas (feat. Rafael Bittencourt)
  15. 15. Orgasmatron (feat. Phil Campbell)

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