laut.de-Kritik
Relaxte Disco für Balkonien, Strand und Stau.
Review von Philipp Kause"Whenever you call me, I'll be there / Whenever you need me / I'll be there / I'll be around", dieser Disco-Soul der Spinners kommt mir hartnäckig in Sinn, wenn "I'll Be" von den Seratones aufliegt. Deren dritte und purpurfarbene Platte "Love & Algorhythms" zeigt eine Person, die tanzt, auf dem Cover. Sängerin, Texterin und Gitarristin AJ Haynes trägt auf der Rückseite der LP spitz dreieckig zulaufende silbermetallic glitzernde XL-Gel-Fingernägel und eine Kluft, die wie ein Mix aus Fischschuppen und Studio 54 ausschaut. Willkommen in der Disco-Ära. Dabei ist der Tonträger auf einem Alternative Country-Label erschienen.
Sanft pirscht sich die Musik mit Analog-Synths in sommerliche Playlisten. Was sich beim ersten Hören leicht und rhythmisch locker anfühlt, baut der Frontfrau zufolge auf ernste Inhalte auf. Kein Widerspruch: Denn für das, was AJ "schwarzen Feminismus" nennt, gelte, dass dieser "das Vergnügen und die Freude, als Mittel zur Befreiung" befürworte. Haynes ist belesen: Toni Cade Bambara, Octavia Butler und Audre Lorde. Wer diese Schriftstellerinnen und ihre Werke nicht kennt, versteht nicht so recht, was die Sängerin mit 'Afrofuturismus', 'schwarzem Feminismus' und 'Protest' genau meint. Weder auf lyrischer noch musikalischer Ebene wird das so ganz klar, doch diese große Dimension braucht es gar nicht.
Dass Disco ein befreiendes Genre war, etwa für alle, die gegen sexuelle Prüderie rebellierten, das liegt auch in den euphorischen Vibes dieser Musik begründet. Und die ließen sich wiederum durch die damals neuen Synthesizer mit besonderem Wumms in Szene setzen. Giorgio Moroder bekommt mit "Love & Algorhythms" ein Denkmal gesetzt. Das zeigt schon der Opener "Two Of A Kind" deutlich. Dem hymnischen Retro-Stück folgt mit "Pleasure" eine Reminiszenz an Donna Summers "I Feel Love".
Dazu kommt es, weil die Seratones-Sängerin im Lockdown eine unglückliche Balance zwischen ihren beiden Jobs erlebte: Musizieren ging nur noch via Zoom. Doch in der Abtreibungsklinik, in der sie Frauen berät - eine belastende Tätigkeit - war sie persönlich vor Ort. Ein anstrengender Spagat: "Ich war dem Burnout nahe, aber es half, nach Hause zu kommen, zu duschen und Donna Summers "I Feel Love" oder "Journey In Satchidananda" von Alice Coltrane aufzulegen."
Die Suche nach Glück und Gleichgewicht spielt auf dieser sinnlich gespielten und sehnsuchtsvoll gesungenen Scheibe eine große Rolle. Umso mehr eignet sich das Album für Ferienmomente. Es hilft, abzuschalten, vom Alltagsstress, der Corona-Tristesse, vielleicht auch von eigener Ungeduld. Gleichgültig, ob man im Urlaub seine Küche schrubbt oder auf der Autobahn im Stau steht: Die Seratones zaubern einen smoothen und eingängigen Groove. Was fehlt, sind fette Bässe, doch umgekehrt erhebt genau dieses Manko die LP zum relaxten und stimmungsvollen Soundtrack bei Temperaturen um die 30 Grad.
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