laut.de-Kritik
Diese Scheibe klingt bei jedem Durchgang anders.
Review von Dani Fromm"Du hast dieses Album überhaupt nicht verstanden": neben "nicht richtig angehört" und "du bist nur neidisch auf Künstler XYs Erfolg" einer der beliebtesten Vorwürfe, mit denen man sich als Kritiker immer wieder konfrontiert sieht. Im Fall "Lese Majesty" könnte ich jetzt lange um den Brei herumreden. Irgendjemand käme am Ende doch dahinter: Ich versteh' diese Platte nicht. Kein Stück.
Auch weit jenseits des zehnten Durchlaufes habe ich nicht den leisesten Schimmer, worum es hier geht. Wovon erzählt Ishmael Butler, ehedem Rapper in den Reihen der Digable Planets gewesen, da? Und überhaupt: Ist das Hip Hop? Ambient? Dub? Industrial? Oder Grime? Am Ende ... Jazz? Auf jeden Fall bedeutet "Lese Majesty" einen schwungvollen Schlag ins Gesicht eines jeden, der glaubt, Musik ließe sich widerstandslos in bestehende Schubladen einsortieren. Das wiederum kann ja eigentlich nur interessant sein.
Wenn überhaupt ein Etikett auf diese Musik passt, dann müsste UNVORHERSEHBAR draufstehen. Ja, in kapitalen Lettern. Vom ersten Lichtschimmer in "Dawn In Luxor" an weißt du in keinem Moment, womit Shabazz Palaces mit dem folgenden Lidschlag um die Ecke kommen. Bei den völlig fehlenden gängigen Songstrukturen fängt an: Wer auf Vers-Hookline-Wechsel oder ähnliche Song-Gerüste wartet, an denen es sich bequem entlang hangeln lässt, kann sich darüber einen langen, struppigen Bart wachsen lassen.
Vergesst es! Schwerpunkte, Betonungen, Stimmungen, Rhythmen und Tempi wechseln, ohne dass sich vorab prophezeien ließe, wohin der Haken schlagende Hase als nächstes rennt. Klangfarben changieren, Schatten weisen mal in die eine, dann unmittelbar wieder in eine andere Richtung, dabei scheint sich doch jede Stimmung ganz natürlich, wie von selbst aus der vorherigen zu ergeben.
Sämtliche Tracks auf "Lese Majesty" bergen eine dermaßene Fülle von Details, Facetten und Flächen, dass man meint, sich in ein akustisches Kaleidoskop verirrt zu haben: Dort ergeben die immer gleichen Steinchen auch kaum jemals zweimal das gleiche Muster. Ähnlich lässt sich jeder dieser Tracks drei-, vier-, fünfmal hintereinander weg abspielen und hinterlässt dabei das Gefühl, man habe bei jedem Durchgang ein komplett anderes Lied gehört.
Heimtückisch dabei: Da die Kompositionen so organisch keimen, sich entfalten und entwickeln, liegt die Versuchung nahe, gedanklich abzudriften, sich treiben zu lassen. Wer ihr erliegt, hat aber bald restlos keine Ahnung mehr, wie zum Teufel er an den Punkt gelangt ist, an dem er sich irgendwann wiederfindet. Aber vielleicht ist das letzten Endes auch ganz egal, und wir sollen uns einfach ergeben. "Touch and agree", wie "Noetic Noiromantics" suggeriert, denn: "The strange is strongest."
Seltsam und stark: Im Grunde charakterisiert das Duo aus Seattle mit diesen beiden Eigenschaften sein aktuelles Werk besser, als es langatmige Beschreibungen können. Seltsam, wie diese Songs zugleich erdig und maschinell, futuristisch und für die Ewigkeit gemacht wirken könne. Seltsam, wie sie bei jedem neuen Hören in einem anderen Licht erstrahlen, eine andere Saite zum Schwingen bringen. Stark, welch hypnotischer Sog so entsteht. Stark, wie unwiderstehlich er einen mit sich zieht, zugleich nach unten und in unendliche Weiten - was wiederum ausgesprochen seltsam anmutet.
Auf jeden Fall langweilt "Lese Majesty" nicht, dafür steckt einfach viel zu viel drin: Sprechgesang, Spoken Word-Passagen und einzelne Wortfetzen. Hall und Echo. Träge Grooves und hastig vorbeiflirrende Elektro-Sternschnuppen. Blecherne, Jazz-infizierte Drums und phantasievolle Percussion. Kurze Songszkizzen und ausgefeilte Epen. In "They Come In Gold" scheint Aphex Twins "Windowlicker" durchs Fenster zu spähen, die Basslinie für "Solemn Swears" hat "Dirty Diana" mitgebracht.
Gelegentlich bedrückend, immer berückend, faszinierend und so verwirrend, dass am Ende noch nicht einmal die "Sonic MythMap For The Trip Back" großartig dabei hilft, aus dem akustischen Kaninchenbau wieder heraus und zurück in die Realität zu finden. Nein, ich versteh' diese Platte nicht. Für eine Entscheidung reicht es aber locker: "Glitter and gold, there'll always be a difference." Von Glitter bleibt "Lese Majesty" weit, sehr weit entfernt.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Puhh, klingt bisher wie das Ergebnis eines tête-à-têtes von Gonjasufi und Damon Albarn am Plastic Beach in Ermangelung eines besseren Vergleiches. Aber zumindest alles andere als langweilig, wird dauern bis ich da irgendein Urteil fällen kann.
Gehts sehr in die Richtung des Vorgängers, oder eher nicht so?
Aber Review klingt gut, werds mir wohl dann auch zulegen.
Also genauso verquer wie der Vorgänger ist es auf jeden Fall!