laut.de-Kritik

Soul mit Vorbildfunktion. Listen up!

Review von

Belehrte einen das wunderbare Label Daptone Records nicht regelmäßig eines Besseren, man käme glatt auf den Gedanken, Platten wie diese würden heutzutage gar nicht mehr gepresst. "100 Days, 100 Nights" tönt, als sei der Traum so manchen Flohmarktbesuchers wahr geworden: Beim Stöbern eine Kiste vollkommen unbekannter Soul-Singles aus den späten 60ern zu entdecken. In diesen Sound möchte ich mich bitte hineinlegen, und das gerne hundert Tage und hundert Nächte lang.

Womit wir sofort beim eigentlich einzigen Kritikpunkt angelangt wären: Wie kann es sein, dass dieses phantastische Album nach einer guten halben Stunde allerfeinster Soul-, Funk- und Bluesklänge bereits zu Ende ist? Zu einem Zeitpunkt, an dem alles in mir nach mehr brüllt? Unverschämtheit!

"Was wissen diese kleinen weißen Jungs schon über Funk?", fragte sich Sharon Jones zu Beginn ihrer Zusammenarbeit mit den Dap Kings. "Dann habe ich sie spielen gehört. Wow!" Ein "Wow!", dem man sich vorbehaltlos anschließen möchte. Die bestens angezogenen und geradezu erschütternd jungen Herren spielen, als hätten sie den Geist James Browns zum Frühstück verspeist.

Die Bläser, die den Titeltrack eröffnen, verbreiten beinahe Begräbnisstimmung. Jene hält sich allerdings nicht lange, weil staubtrockene, scheppernde, locker aus dem Handgelenk servierte Drums, groovender Bass, durchklimperndes Klavier und immer wieder eine äußerst funky agierende Bläsersektion das Ruder übernehmen.

Mit "Something's Changed" beweisen die Dap Kings zudem, dass es sich bei der Gitarre keineswegs per se (wie bei den überaus ekelhaften Chimes, auf die dankenswerterweise einfach verzichtet wird) um ein böses Instrument handelt. Fernab geschrappter drei Akkorde findet sie, Saite an Saite mit einer flockigen Basslinie, gar zauberhafte Einsatzmöglichkeiten.

Kein Wunder, schließlich feiert auch Amy Winehouse mit dieser großartigen Backing-Band im Rücken Erfolge am laufenden Band. Die wahre Dap Queen bleibt aber ohne jeden Zweifel Sharon Jones. Ihr überlassen die exzellenten Musiker zu jedem Zeitpunkt den Platz im Rampenlicht. Jones' kraftvoller, souliger, vom Leben weniger gezeichneter denn geformter Gesang beherrscht die Szenerie in jeder einzelnen Minute der - wie gesagt - viel zu kurzen Platte.

"I ain't nobody's baby, I ain't nobody's fool." Wer über ein solches Organ verfügt, muss sich tatsächlich vor niemandem mehr zum Deppen machen. Ruhig, entspannt und dennoch voller Feuer und vor allem mit hörbarem Spaß an der Sache bewegt sich Sharon Jones durch das blueslastige "Be Easy". Selten präsentierte in den letzten Jahren eine Künstlerin so traditionell komponiertes Material ähnlich frisch.

Das zweifelhafte Etikett "Retro" wäre hier völlig fehl am Platz. Bei Miss Sharon Jones klingt nichts gewollt. Wie auch? Diese Lady ist durch und durch echt. Sie singt den Blues, ohne dabei in Jammerei zu verfallen. "Let Them Knock" sollte jedem Produzenten zeitgenössischen R'n'Bs als leuchtendes Beispiel vor Augen gehalten werden. Listen up! Lovesongs kommen nicht nur in der Theorie ganz ohne pappige Streicher, Zu-Tode-Knödelei von Vokalen oder anderen unnötigen Mumpitz aus.

Ein klein wenig schade nur, dass Sharon Jones auf ihrem mittlerweile dritten Longplayer an keiner Stelle so aufdreht, wie sie es auf der Bühne regelmäßig tut. Sei's drum: Dieser Umstand liefert nur einen weiteren guten Anlass dafür, sich ihre wahnwitzig schweißtreibenden Live-Shows anzusehen, wann immer es irgend möglich ist.

Die Wechselgesänge in "When The Other Foot Drops ..." verweisen auf Wurzeln im Gospel. Die treten im abschließenden "Answer Me" noch einmal überdeutlich zu Tage. Das nenn' ich mal ein Gebet! Sollte Sweet Jesus dem tatsächlich kein Gehör schenken, sitzt er auf seinen Ohren - oder ihm fehlt der Funk. Im Angesicht dieses göttlichen Albums möchte ich mich zu solch blasphemischen Äußerungen allerdings doch lieber nicht hinreißen lassen.

Trackliste

  1. 1. 100 Days, 100 Nights
  2. 2. Nobody's Baby
  3. 3. Tell Me
  4. 4. Be Easy
  5. 5. When The Other Foot Drops, Uncle
  6. 6. Let Them Knock
  7. 7. Something's Changed
  8. 8. Humble Me
  9. 9. Keep On Looking
  10. 10. Answer Me

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