laut.de-Kritik
James Last schnippt sich im Hintergrund die Finger wund.
Review von Michael EdeleEs hat lange gedauert, bis es von Silber wieder etwas auf die Ohren gab. Über die Gründe und das weitere Vorgehen der Jungs, könnt ihr euch demnächst im laut.de-Interview informieren. Wie es sich für eine anständige Band gehört, lassen sie aber lieber Musik sprechen und schicken den aktuellen Longplayer "Hier Und Jetzt" ins Rennen.
Waren auf dem selbstbetitelten Debüt die Unterschiede zur Vorgängerband noch eher marginal, so sieht das auf "Hier Und Jetzt" ganz anders aus. Von den ehemaligen Gothic- oder Metal-Klängen ist auf der neuen Scheibe nicht viel geblieben. Stattdessen rocken die Mainzer mit Kölner Unterstützung sehr ordentlich durch den Alternative und legen mit "Niemand Anders" gleich mal zügig los. Gitarren und Drums haben einen kräftigen Drive, und Toms einzigartiger Gesang macht klar, mit wem man es zu tun hat.
Schon nach den ersten Minuten fällt auf, dass sich der Grundtenor von eher melancholisch zu fast einem schon positiven Vibe hin entwickelt hat. Man merkt dem Album beim ersten Track an, dass der Entstehungsprozess der Scheibe sehr entspannt gewesen sein muss. Ein wenig im Nu Metal-Stil eröffnet "Unendlich", geht mit dem Gesang aber in einen sehr relaxten Groove über und mündet in einen tollen Chorus mit einprägsamer Melodie.
Bevor man aber auf der Sonnenliege beim gemütlichen Longdrink vor sich hindümpelt, nimmt "Dies Ist Unser Tag" wieder gehörig Fahrt auf. Ich sag nur: Autobahn, Dach auf, Sonnebrille ins Gesicht und Gas geben. Doch im Hause Silber liebt man die Abwechslung und so verbreitet "Wo Bist Du" wieder eine angenehme Melancholie. Endlich lässt Tom die Stimmbänder auch ein wenig mehr knarzen, was ich auf der Scheibe insgesamt doch ein wenig vermisse.
Der erste heimliche Hit steht uns mit "Keine Zeit Für Wunder" ins Haus. Zu dem Song kann man sich perfekt vorstellen, wie die Jungs in schicken Anzügen locker in einer Lounge zocken und James Last sich im Hintergrund die Finger wund schnippt. "Willkommen In Meiner Welt" ist anschließend ein simpler Rocksong, der trotz nicht gerade positiver Grundstimmung doch über einen recht hoffnungsvollen Text verfügt. Überhaupt drückt sich Tom inzwischen weniger kryptisch als früher aus.
Nach dem kurzen instrumentalen und ein wenig introvertierten Ruhepunkt "16:57" kommt mit "Lass Es Gehen" der zweite Höhepunkt des Albums. Waren einige, der bisherigen Songs latent optimistisch, so zaubert einem schon allein die Gitarrenmelodie ein sattes Grinsen aufs Gesicht. Da braucht es nicht mal mehr den anfeuernden Text zu. Eine schöne (Halb-)Ballade, um ein wenig Herzblut zu vergießen, hat auch noch nie geschadet, und so kommt "Maskenignoranz" gerade recht.
In dieser Stimmung neigt man gerne zur Selbstreflektion, und was könnte in so einer Situation der passendere Soundtrack sein als "Weisst Du Wer Ich Bin"? Auch das folgende "Wie Ein Stein" geht in seinen Strophen eher melancholisch zu Werke, ehe mit dem Chorus und seiner tollen Melodie wieder ein paar akustische Sonnenstrahlen durch die grauen Wolkendecke dringen.
Das kurze, hart rockende "Nichts Ist Klar" setzt einen würdigen Schlusspunkt unter ein Album, das endlich mal den Begriff Deutschrock verdient hat. Wer sich zutraut, auch mit etwas kernigeren Sounds als Silbermond, Juli oder Revolverheld umzugehen, der legt "Hier Und Jetzt" ein.