laut.de-Kritik
Ein Denkmal aus schwerem dunklen Stein, mit tiefgrünem Moos überwachsen.
Review von Laura WeinertCaspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" zeigt den Meister der düsteren Romantik in Rückenansicht im ostdeutschen Elbsandsteingebirge. Vor ihm eine undefinierte, graue und triste Landschaft aus Nebel, scharfkantigen Gipfeln, Abgründen und Schluchten. Nehmen wir nun an, Friedrich sei Anja Plaschg. Sie hat die kahlen Gipfel bestiegen. Und wer liegt tief unten in der Schlucht? Ich liege da, denn Plaschg hat mich da hinuntergeworfen. Das hat Friedrich aber nicht gemalt.
Es ist wider Erwarten nicht so schlimm, da unten zu liegen. Denn tief in der Dunkelheit wartet "Narrow", der Nachfolger ihres Debüts "Lovetune For Vacuum". So viel Herzblut und so viele Emotionen durchfließen das Werk, dass ihr mit dem Terminus bloße Unterhaltung absolutes Unrecht getan wird. Plaschg vertont die morbide Schönheit dunkler Romantik, den Komfort kalter Schauer und die Faszination von Vergangenem.
Sie mischt dramatisches Piano mit kalter, mechanischer Elektronik, dazu tönt ihre Stimme rau und herb, aber ungleich schön. Zumal sie herrlich instinktiv damit umgeht: In "Vater" schreit sie, einfach, weil der taumelnde Rausch der Emotionen es erfordert. Wut, Trauer, Taubheit - man kann viel hineindichten in die sich aufbauende Moll-Komposition. Die deutsche Sprache ist hier ausnahmsweise Instrument packender Eindringlichkeit und das erste Mal in ihrem Gebrauch. Plaschg steht uns quasi nackt gegenüber.
"Voyage, Voyage" ist das Cover des abgehangenen 80s-Songs von Desireless - und demontiert das Original zum altbackenen, dümmlichen Popsong. "Voyage / Et jamais ne reviens", entscheidet sie. Steht ihre Stimme hier noch im Fokus des Hörers, eilen ihr in "Deathmental" bereits mechanische Industrial-Anleihen zu Hilfe, die scheppernd und knarzend kaltes Chrom in den Gehörgang drücken.
Zwei gleichwertige Facetten der Plaschg, die, nachdem "Cradlesong", "Wonder" und "Lost" für hauchzarte Momente am Klavier sorgen, in "Boat Turns Toward The Port" fusioniert werden. Ihre drückenden Töne treffen auf einen schwermütigen Drumbeat. "Big Hand Nails Down" beginnt mit leisem Uhrticken, die bekannte Ruhe vor dem Sturm, bevor die Seite der anmutigen, aber bedrohlichen Königin in ihr hervorkehrt. Über allem erhaben singt sie kraftvoll ihre Zeilen, bevor das großartige Stück plötzlich blubbernd im Moor versinkt.
Als Album will sie es übrigens gar nicht verstanden wissen, es sei ein Songzyklus, entstanden als Denkmal für ihren verstorbenen Vater. Da hat sie wahrlich ein ganz prächtiges gebaut, eines aus schwerem dunklen Stein, mit tiefgrünem Moos überwachsen, aber von dunkel betörender Faszination.
Das ist nicht eben der konventionelle Begriff von Ästhetik - aber der ist in diesem Fall völlig egal. Wer mit so viel Anmut und Eigenart, im besten Sinne, seine Stücke schafft, der ist schön. Mörderisch schön, in jeder Hinsicht. Ich liege übrigens auch noch nach Verklingen der letzten Töne in der Schlucht. Anja Plaschg hätte Caspar David Friedrich bestimmt gefallen.
15 Kommentare mit 5 Antworten
Caspar David Friedrich in einem Musikreview - das ist hier sehr stimmig. Das ist wirklich mal ein tolle Einleitung - eine Malers, den ich sehr schätze. Ihr voriges Album ist mir mal als Download (böse - ich weiß) zu Ohren gekommen. Hat es irgendwie nicht auf die Kaufliste geschafft und ist völlig aus meinen Radar verschwunden. Eigentlich genau mein Fall.
Nicht übel. Als wäre Björk stockdepressiv geworden.
Vor allem ihre Live-Konzerte sind eine Wucht. Das wirkt stellenweise so, als würde sie eine schwarze Messe zelebrieren (Marche Funebre), dann gibt's sogar ein Cover aus dem Requiem For A Dream Soundtrack (Meltdown) und last but not least schimpft sie mitten im Song den Beleuchter, weil ihr zu viel oder zu wenig Licht auf der Bühne ist. Sehr extravagant, sehr intensiv und äußerst spannend.
Hier gibts übrigens noch einen Track mit ihr, der auf dem neuen Apparat Album drauf ist: http://vimeo.com/29558305
Mein persönliches Lieblingsrelease 2012, da stimmt einfach so gut wie alles.
Die Sugarbread EP ist btw auch sehr zu empfehlen - nicht so variantenreich wie Narrow, aber was Wunder bei nur 3 Tracks .
Ich besitze dieses Album seit dem Erscheinungsdatum und habe es gerade wieder einmal gehört. Und es nahm mich noch mehr mit als damals; ein unfassbar emotionsgeladenes, aufwühlendes und trotzdem wunderschönes Stück Musik. Ich bin ja sonst nicht wahnsinnig stolz auf die österreichische Musikszene, aber mit Soap&Skin haben wir definitiv eine der besten und interessantesten weiblichsten Künstlerinnen weltweit vorzuweisen.
Das einzige Album, das ich mir die letzten Jahre in CD-Form gekauft habe und es liegt immer noch unverpackt bei mir herum.
Hast mit dem Verpacken ja auch noch knapp drei Monate Zeit.
Na dann hoffe ich für dich, dass du es in guter Qualität als mp3 irgendwo rumfliegen hast oder als Teil eines Streampakets, denn dir entgeht echt einiges.
Etwas sperriger als das hervorragende Lovetune For Vacuum, aber sollte man trotzdem gehört haben.
@Morpho
@soulburn Keine Sorge, ich bin durchaus auf meine Kosten gekommen. Habe sie damals bei ihrem Debüt als Künstlerin geradezu angeschmachtet. Benutze einfach nur keine CDs mehr, aber als ich gehört hatte, dass sie ein Zweitwerk rausbringt, musste ich es kaufen von der Symbolik her.
Verstehe, was du meinst. Hab u.a. vom Salival-Boxset von Tool 2 Exemplare gekauft. Eins zum auspacken, digital für den Alltagsgebrauch kopieren und die Box weiterverkaufen, ein Exemplar steht OVP im "Trophäenschrank" mit dem "Amnesiac"-Buch von Radiohead oder auch der limitierten "Feed to Feed"-Box von Oceansize... True heart of a dedicated fanboy
Bein Vinyl stinke ich leider noch total ab, bis auf einige Erstauflagen von deutschem Krautrock, die mir der Freund meiner Mutter vermachte...