laut.de-Kritik
Nun wissen wir's: Die Briten sind die Motörhead des Synthie-Pop.
Review von Michael SchuhAn Marc Almond scheiden sich die Geister. Die einen lieben seine extravagante Stimme. Für die anderen ist gerade diese unnachahmliche Vokalakrobatik über synthetischem Bordell-Pop die Tortur in Vollendung. Mit "Cruelty Without Beauty", soviel sei verraten, dürfen sich beide Seiten weiter in ihrer Meinung bestätigt sehen. Denn Almond und Kollege Dave Ball tun noch immer hartnäckig so, als sei draußen 1982.
Schaut man in die Diskos von heute, könnte das zwar glatt hinkommen, aber so einfach ist es dann doch nicht. Vergangene Glanztaten wie "Loving You Hating Me" oder "Sex Dwarf" werfen einen übermächtigen Schatten, dem auch das Comeback-Album nicht zu entschlüpfen vermag. Während seelenvolles Schmachten überraschend rar gesäht ist, lugt der Dancefloor orientierte "Sex Dwarf 2002" aus beinahe jedem Song. Überzeugend kommt er in der Single "Monoculture" zum Vorschein, einem der besten Tracks. Kullernde Synthie-Sounds tanzen auf einer monotonen Old School-Bassline Ringelreihen.
Auch der Opener "Darker Times" gefällt in seiner schnörkellos poppigen, dem Soft Cell-Sound der 80er zu Füßen liegenden Direktheit. Dazu singt Almond in altem Pathos: "We gotta keep smiling through our tears". Oder eine Spur fatalistischer: "Suicide is the only solution". Alles beim alten. Soft Cell machen konsequent das, was sie schon immer am besten konnten: Sie verarbeiten ihren Lebensentwurf in soft-poppenden, leichtverdaulichen Elektro-Liedchen.
In gewissem Sinne sind sie somit die Motörhead des Synthie-Pop. Sind die Sound-Weichen eingestellt, rollt die Lokomotive für die Ewigkeit. Jede Abweichung wäre der sichere Tod. Da nützt es wenig, wenn einige Soundspielereien den Status Quo elektronischer Musik erahnen lassen. Denn wie Lemmy sich nicht über ein Keyboard beugt, zünden Soft Cell eben keine Prodigy-Bassgranaten. Und dafür darf man sie lieben. Weniger dagegen für seichte Erasure-Verrenkungen ("The Night", "All Out Of Love") oder unvergessene Soft Cell-Schmalz-Pop-Tiraden ("Whatever It Takes", "Sensation Nation"), die auf seltsame Weise sehr nach abgelaufenem Verfallsdatum klingen.
Die Schauerballade "Caligula Syndrome" oder der mit Streichern angereicherte Düster-Pop von "Together Alone" machen dagegen noch einmal deutlich, was an Soft Cell einmal wichtig war. Man kann den beiden einfach nicht böse sein.
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