laut.de-Kritik
Eines der Independent-Hip Hop-Alben des Jahres.
Review von Dani FrommWas ist nur los hier? Ich erinnere mich noch gut, welche Schwierigkeiten es mir Ende letzten Jahres bereitete, ausreichend Platten für die Jahres-Charts zusammen zu bekommen. 2005 entschädigt eine wahre Flut großartiger Hip Hop-Releases doppelt und dreifach für die erlittene Dürreperiode. Auch Soulstice haben sich ihr Plätzchen bei mir gesichert.
"North By Northwest", das Debüt des Chicagoer MCs, erschien bereits im Frühjahr 2003, wurde lediglich im kleinen Rahmen vor Ort und via Internet vertrieben und kam dennoch bei Fans und Kritikern in den Ruf, zu den besten Independent-Hip Hop-Alben des Jahres zu zählen. Was außerhalb des Sendegebiets der National College Radios kaum jemand mitbekam - ein großer Fehler, dem jetzt mit der offiziellen Wiederveröffentlichung abgeholfen werden soll. Mit "North By Northwest: Solid Ground" erreicht den hiesigen Markt nun eine komplett überarbeitete, remasterte und mit zusätzlichem Material aufgerüstete Version, die zum Überzeugendsten zählt, was US-Hip Hop in den letzten Monaten hergegeben hat. Das will einiges heißen, denn in jüngster Vergangenheit ging da wie gesagt eine ganze Menge.
Die Verantwortung für die Produktion liegt größtenteils bei Oddisee aus den Reihen der Low Budget Crew. Entgegen der Namensgebung erweisen sich seine Beats allerdings alles andere als billig; seine Fähigkeiten wurden bisher unter anderem von Asheru, DJ Jazzy Jeff und Talib Kweli in Anspruch genommen. Wunderbar melodische Instrumentals basieren mal auf swingendem Pianosound ("The Melody"), mal auf Gitarrenklängen ("It Don't Stop"). Volle Bässe runden das Gesamtbild ab, stehen allerdings selten aufdringlich im Vordergrund.
Nein, die Bühne gehört Soulstice und seinen Flows. Kaum jemals ist mir vorher ein MC begegnet, dem die Liebe zu seinen Reimen in vergleichbarem Ausmaß anzuhören ist. Nicht nur in "Sleep Walk" thematisiert er sein Bedürfnis, Gefühle in Worte und sein gesamtes Leben in Zeilen, Verse und Songs zu verpacken; auch ohne es explizit auszusprechen, stünde dieser Drang nahezu greifbar im Raum. Der auf einem Streichersample basierende Track gerät in einer Weise melodiös, dass einem der Mund offen stehen bleibt, hat man sich auch nur einen Augenblick lang nicht im Griff. "Sehr schön", wäre die Untertreibung der Woche.
"Sacred Ground" besticht mit knarzigem Bass und einem Gitarrenpart, der gut von William Bell stammen könnte (was er vermutlich nicht tut; mir kam trotzdem sofort "Forgot To Be Your Lover" in den Sinn, das nicht nur in "Worst Comes To Worst" der Dilated Peoples bereits Verwendung fand). "Respect these lines, 'cause they are sacred ground", fordert Soulstice hier - und das vollkommen zu Recht. Elektronische Sounds blubbern durch die beruhigende Melodie des eher getragenen "It's All Love". Nachdenklich oder (wie in "Blazin'", das in der Machart stark an Produktionen von Looptroops Reglergott Embee denken lässt) in doppelter Geschwindigkeit: egal. Soulstice wirkt stets in einer Weise unangestrengt, dass es eine Freude ist.
Schon im eröffnenden "The Melody" herrscht fröhliche Gelassenheit. "Let the melody move you" - kein Problem. Ein Anspieltipp reiht sich an den anderen: Wer es etwas reduzierter mag, dem sei "Terra Firma" ans Herz gelegt; Freunde wimmernder Gitarrenriffs mögen sich an "Free Fall" halten. Mit Ausnahme von "Can't Front" (hier stören der getriebene, blecherne Rhythmus und das doch eher nervige Vokal-Sample den Eindruck der tadellosen Rap-Performance) sind Fehlgriffe ausgeschlossen. Wenn sich dann mit "Always" der Kreis schließt, die Stimmung vom Beginn wieder aufgegriffen wird, und man feststellt, dass der Bonus-Track bereits aus dem ins Haus stehenden zweiten Soulstice-Album stammt, dann ist die Welt so in Ordnung, wie sie nur sein kann.
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