laut.de-Kritik

Über das Verlorensein in der Großstadt und die tägliche Hektik.

Review von

Grand Hotel Van Cleef, Hamburg, Unterstützung von Felix Weigt (Die Höchste Eisenbahn) und Jonny König (Stoiber On Drums): Der gebürtige Würzburger Hannes Wittmer alias Spaceman Spiff ist auf dem besten Weg, zukünftig mehr als ein Geheimtipp in der norddeutschen Songwriter-Szene zu sein – zu Recht.

Der Titel der dritten Platte zieht sich als roter Faden durch die Songs: Verlorensein in der Großstadt, aus der täglichen Hektik ausbrechen, irgendwo nochmal ganz neu anfangen. Nach diesem Nichts suchte der Musiker selbst auf einer Neuseeland-Reise, auf der er fast alle Stücke geschrieben hat.

Vielleicht liegt der Grund für die präzise reflektierenden Beobachtungen in jenem Abstand des alltäglichen Tuns und der Möglichkeit, alles ungestört zu analysieren. Verpackt wird das Ganze in Textzeilen, die sich einprägen wie "Man kann nur mittelmäßig malen auf einem vollen Blatt Papier" ("Milchglas").

In jedem Fall trifft Wittmer den Zeitgeist der Jugend ab Anfang 20. Er beobachtet etwa, wie die große Ernüchterung im Freundeskreis um sich greift, als alle an ihren hohen Zielen scheitern: "Meine Freunde und ich und ein paar andere sind der Teesatz dieser Zeit / Meine Freunde fallen um und auseinander, sie tun sich schwer und tun sich leicht / Würzburg hat sein zweites Studium abgebrochen, Köln seh ich so gut wie nie / Berlin hat keine Ahnung, wo es hin soll und Hamburg ist in Therapie" ("Teesatz").

Die Suche nach einem neuen Sinn führt zu alternativen Lebensentwürfen ("Oh Bartleby") oder gleich zur Verzweiflung ("Wände"). Die Grundstimmung von "Endlich Nichts" strotzt natürlich vor Melancholie, Pathos und bitteren Realitätsbildern, versetzt mit einem Hauch Identitätskrise.

Doch die Platte ist nicht deprimierend. Denn eine andere zentrale Erkenntnis lautet: "Aber nur weils uns nicht gut geht, heißt es nicht es geht uns schlecht" ("Vorwärts Ist Keine Richtung"). Die Probleme sind keinesfalls unlösbar, vielleicht sogar nur reine Luxusprobleme einer relativ wohlhabenden Gesellschaft. So schlägt der Wahl-Hamburger vor, den Ausstieg zu wagen, für ihn der Weg in eine neue Gelassenheit: "Ich hab die Ruhe selbst gefunden auf Reisen irgendwann / In einem Snickers in Neuseeland, auf einer Pizza in Amsterdam / Ich hab die Ruhe selbst gefunden am Tag und in der Nacht / Haben Professoren und Idioten mir die Ruhe beigebracht" ("Die Ruhe selbst").

Musikalisch frischt Spaceman Spiff dank der Beiträge von Weigt und König die ruhigen Gitarren-Songs (ganz klassisch z.B. "Wände") mit allerhand Schlagzeug, Percussions, Bass, Klavier und Xylophon auf. Im Ergebnis neigen sich so manche Tracks in Richtung Rock ("Der Tag An Dem Ich Nicht Verrückt Wurde") oder schlagen gleich eine ganz andere Richtung ein: "Mind The Gap" flirrt elektronisch mit harten Percussions vor sich hin und wirkt dabei so kalt und mechanisch, wie die beschriebene U-Bahn-Fahrt selbst.

Noch drastischer: Die dramatisch unruhigen Streicher in "Nichtgeschwindigkeit", die nervöse Akustik-Gitarre und Trommeln verschlingen und weit mehr als ein Trio dahinter vermuten lassen. "Nur keine Eile, nur keine Angst, nur Nichtgeschwindigkeit / Drüben im Park kacken Vögel auf die Bänke, wo seit 25 Jahren kein Arsch gesessen hat und hier in der Stadt schmerzen allen die Gelenke, weil man die Bänke im Park völlig vergessen hat", mehr Druck könnten die Zeilen, die Wittmer hervorstößt, kaum haben.

Mit dem letzten Stück ("Han Solo") vernichtet Spaceman Spiff die letzten Idealvorstellungen, ehe er mit einem gewaltigen Gitarren-Solo entlässt: "Will mich nie wieder fragen, was hätte Han Solo getan? / Und scheiß auf die Helden, weil sowieso niemand so ist, wie das alle erzählen / Ein Held ist, wer niemals vergisst". Passend, schließlich ist "Endlich Nichts" der zerbrechliche Gegenentwurf zu toughen Helden wie Han Solo. Denn das Album erobert nicht mit Stärke und Mut die Herzen, sondern mit einem ergreifenden Grenzgang zwischen Pathos, Realitätssinn, Sinnkrise, aber auch nach vorne gerichteten Lösungsvorschlägen und Neuanfängen.

Trackliste

  1. 1. Vorwärts Ist Keine Richtung
  2. 2. Teesatz
  3. 3. Mind The Gap
  4. 4. Was Wir Anders Wollten
  5. 5. Oh Bartleby
  6. 6. Bevor der Konjunktiv Gewinnt
  7. 7. Wände
  8. 8. Milchglas
  9. 9. Der Tag An Dem Ich Nicht Verrückt Wurde
  10. 10. Nichtgeschwindigkeit
  11. 11. Die Ruhe Selbst
  12. 12. Han Solo

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LAUT.DE-PORTRÄT Spaceman Spiff

Spaceman Spiff, so nennt sich der Comic-Charakter Calvin aus "Calvin & Hobbes", wann immer er sich auf eine fiktionale Reise durch das Weltall begibt.

4 Kommentare

  • Vor 10 Jahren

    Ui, toll, dass es doch 'ne Rezension gibt! Und nochmal so toll, dass die so schön geworden ist.
    (Nur irgendwie fehlt noch die Redaktionswertung ...?)

    Ich find' das Album jedenfalls ganz große klasse. Schön auch, dass Spiff sich immer weiter von seinen doch eher kargen musikalischen Anfängen verabschiedet. "Oh Bartleby" ist mein persönliches Albumhighlight.

  • Vor 10 Jahren

    Joah, eine faire Beurteilung.
    Das Album hielt für mich ein paar sehr schöne Überraschungsmomente bereit, die für mich einen vierten Stern rechtfertigen (abgesehen davon, daß ich die Verbesserung würdigen will - seit dem letzten Album haben sich die drei doch ziemlich deutlich weiterentwickelt).
    Gruß
    Skywise

  • Vor 10 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 10 Jahren

    Ich stieß eben in meinem Luxuslebenwohlstand - kein Bürgerkrieg unten auf der Straße, keine Zukunftsunsicherheit (hey, ICH werde immer gebraucht) und die Kinder schlafen, der Fernseher ist seit Jahren abgemeldet - beim Stöbern im Plattenladen (naja: iTunes...) auf dieses Album. Wow, es strotzt vor ehrlicher poetischer Musik; ein Gefühl, wie ich es schon seit Jahren vermißte. Ich glaube, das letzte Mal rührten mich Erdmöbel mit ihren damals verqueren Songtexten, zwischenzeitlich faszinierten mich die Worried Noodles. Im Alternative-Sektor darf man sich entwickeln, und man darf auch Erfolg haben. Ich denke, daß der spaceman auf einem guten Wege ist, sich zu profilieren; sich -gottseidank-abzugrenzen von dem Einheitsgedudel des Mainstreams. DER Mann hat was zu sagen! Weiter so!