laut.de-Kritik
Visitenkarte mit aberwitziger stilistischer Bandbreite.
Review von Maximilian FritzZwölf Tracks fanden ursprünglich ihren Platz auf Squarepushers wohl gelungenster LP "Feed Me Weird Things", deren Titel als beschwörerischer Imperativ des Hörers an den virtuosen Musiker verstanden werden kann. Oder als Aufforderung des virtuosen Musikers an seine wichtigsten Verbündeten: Die Bassgitarre und seine Maschinen.
Das Album erscheint im Juni 1996 auf Aphex Twins – der übrigens maßgeblich für die Zusammenstellung des Albums verantwortlich ist und dafür aus 40 Tracks selektierte – und Grant Wilson-Claridges Label Rephlex. Was Jenkinson auf "Feed Me Weird Things", seinem ersten Langspieler überhaupt, aus seinen Mitteln macht, klingt noch heute ungemein inspiriert und umschifft gekonnt die musikalische Selbstgefälligkeit, die überdurchschnittliche Fähigkeiten an einem Instrument und die Verquickung von Drum'n'Bass und rasanten Jazz-Soli durchaus nach sich ziehen könnten.
Mit dem "Squarepusher Theme", dem ersten und bekanntesten Track der Platte, erschuf sich Jenkinson eine Visitenkarte, die seinen künstlerischen Ansatz noch heute perfekt transportiert. Selbst wenn Veröffentlichungen wie die "Lamental EP" aus dem ersten Coronajahr eine noch großkalibrigere, ambiente Emotionalität für sich reklamieren.
Halsbrecherische Amen-Breaks und nonchalante, mal wunderschöne, mal muckerhaft angecoolte Melodien vermengen sich, die BPM-Zahl liegt für gewöhnlich in hohen Bereichen. Das würde man zu Beginn von "Tundra", das mit seinen erhabenen Flächen vage an Richard D. James' "Selected Ambient Works 85-92" erinnert, gar nicht vermuten.
"The Swifty" hingegen präsentiert sich spielerischer, arbeitet mit Rhythmuswechseln von Jazz zu Drum'n'Bass zu basslastigem Reggae, was in seiner schieren Freiheit radikal anmutet. Sirrenden Acid-Drum'n'Bass, der sich um Melodien wenig schert, serviert im Anschluss "Dimotane Co", womit schon nach vier Tracks eine aberwitzige stilistische Bandbreite aufgefahren wäre.
"Smedleys Melody", neben "Goodnight Jade" und "Future Gibbon" einer der Tracks unter drei Minuten, setzt erneut auf schnelle Breaks, kombiniert diese aber mit einer Chinstroker-Melodie à la Tom Misch und streut am Ende noch überkandidelte Samples ein, die klanglich zwischen Super Mario und einer Ziege zu verorten sind. Dieser Spagat zwischen Jux und Seriosität, wie sie "Windscale 2" sofort danach wieder an den Tag legt, zeichnet "Feed Me Weird Things" maßgeblich aus. Jedem dieser zwölf respektive 14 Tracks hört man auf seine Art an, dass sie aus der Feder eines gierigen, unerschrockenen und – zumindest musikalisch – latent hyperaktiven Interpreten stammen.
Das an sich ist schon eine beachtenswerte Leistung, aber nicht zwingend ein Alleinstellungsmerkmal. Jenkinson, der aus einer Kleinstadt in Essex stammt, hat insbesondere der damals prosperierenden Szene Großbritanniens vorgemacht, dass ihr epochemachender wie artifizieller Sound durchaus mit herkömmlichen Instrumenten zu vereinen ist und dabei nichts von seinem avantgardistischen Charakter einbüßt. Neben Autechre, Aphex Twin oder Plaid muss sich Squarepusher deshalb keineswegs verstecken, nicht zuletzt, weil ihm der Mut zu ehrlicher Schönheit ohne doppelten Boden nie fehlte. Das beweisen "Goodnight Jade" und "Theme From Ernest Borgnine", auf dem die Breaks unvermittelt über die erhabenen Synths hereinprasseln, hintereinander allumfassend.
Ob das nun IDM ist? Die wenigsten Warp- und Rephlex-Künstler, die dieses Genre mitgeprägt haben, sind mit diesem Stempel glücklich. Squarepusher hat sich mit seiner Idee von visionärer Musik auf "Feed Me Weird Things" jedenfalls gekonnt allen Zuschreibungen entzogen und eine singuläre sonische Erscheinung geschaffen. 25 Jahre später, im vergangenen Sommer, veröffentlichte Warp Tom Jenkinsons Opus Magnum übrigens mit leicht veränderter und um zwei Titel verlängerter Tracklist in einer 'Remastered'-Version.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
2 Kommentare
Quadratschubser schon ein krasser Hund, kriegt Daumen von mir
Ist schon eine echt verdammt krasse Scheibe mit vielen erinnerungswürdigen Tunes, allen voran "Tundra", aber recht spröde. Am besten die ersten beiden Tracks hören, um herauszufinden, ob man damit etwas anfangen kann.