laut.de-Kritik
Zürich Calling
Review von Franz MauererSteiner & Madlaina gehören zu den nicht ganz eingelösten Versprechen der helvetischen Republik: ähnlich wie den heimischen Bankensektor in den Griff oder mit der EU ein Rahmenabkommen auf die Reihe zu kriegen. Das Talent tragen die beiden Zürcherinnen geradezu plakativ vor sich her, an der Umsetzung haperte es jedoch bislang etwas. Manchmal gerieten die Ansätze der beiden Damen zu unvereinbar, dann wiederum wirkten sie streckenweise zu erzwungen. Alles neu macht nun der Mai, und dementsprechend gehen wir mit den Deutschschweizerinnen ins "Risiko".
Die Songcredits teilen sich die beiden Sängerinnen mit den Bandmitgliedern Guadarrama, Sörensen und Kämmerling, das Prozedere bleibt dabei wie gehabt: Eine der beiden Bandchefinnen zeichnet hauptverantwortlich für einen Song, wer dies schlussendlich ist, bleibt anhand des Songwritings aber schwierig zu erraten. Denn "Risiko" zeigt insgesamt in eine rockigere Richtung, was auch dem kurzen Aufnahmezeitraum in isolierten Verhältnissen geschuldet sein könnte.
"Wahre Liebe" beginnt ungewohnt grungig, was an der Produktion des Gitarrenlehrers Guiliano Sulzberger liegen dürfte, passt aber gut zu Madlaina Pollinas sprechlastigem Gesang. Der Track startet schunkelig und kantig zugleich, rumpelt angenehm. Der Refrain steigt alsbald in die Höhe und fällt doch etwas ziellos wieder ab, dennoch ein solider Opener mit einem für die Band ungewohnten Impuls.
Den greift "Paradies" sofort auf, zumal der Track klüger konstruiert ist. Wie von Nora Steiner gewohnt, fährt sie zwei Spuren politischer als das verbitterte Madlainasche Liebeslied "Wahre Liebe", was wiederum nicht ganz so organisch wirkt. Der Song lotet aber den Raum aus, den der neue, bandlastige Aufnahmeprozess ermöglicht: ausgreifender, guter Poprock.
Mit einer beharrlichen Dualität zoroastrischen Ausmaßes gesegnet, folgt Madlaina mit "Ich Will Dich", einem druckvollen Liebeslied, das ihrer authentischen Verzweiflung sehr entgegenkommt und nach der Live-Umsetzung geradezu schreit. Ein frühes Albumhighlight, dem das nur zu Beginn ruhige "Engel Am Hauptbahnhof" folgt, bei dem sich die Schweiz und Österreich ganz, ganz nahekommen: Das hätte Der Nino Aus Wien auch so gemacht, nur kann er nicht so schön Gitarre spielen – und hätte den Song konsequenter kippen lassen. Ein Grower mit eigenem Charme.
"Unter Uns" fehlt für ein skelettiertes Chanson der Witz. Die Leichtigkeit, sie ist weiterhin nicht in Zürich zuhause. Dafür geht den beiden der Wahnsinn Madlainas Bruder ab, dessen grenzenloses Ego eine Konstante ist, die den beiden Schweizerinnen fehlt. Gemeinsam harmonisch trällern ist nicht Ihres, die rockige Katharsis ist es aber auch nicht. Die Koexistenz wird auf "Risiko" nicht aufgelöst, nur weil beide etwas mehr an einem Strang ziehen, da trügt der gute Beginn leider.
Insofern macht es Sinn, dass sie das Songwrtiting aufteilen, trotzdem fühlt sich die Zusammenarbeit zu oft wie ein Korsett an. "Das Will Ich Sehn" ist eine zu unterkühlte Nummer. Auch "Mama Liebe" kann das hohe Niveau und den Spielwitz des Anfangs der Platte nicht halten. Maternale Liebeshymnen sind grundsätzlich berechtigt, die allermeisten Mütter haben aber mehr verdient alshandwerklich soliden, uninspirierten 90-College-Rock.
"Man Tut Was Man Kann" ist gefällig, aber hakt sich nirgendwo im Gedächtnis fest. Man bemerkt das Ringen um Dynamik und Tempo, aber letztendlich kommt nicht mehr dabei heraus als ein paar müde Chorals. "Besser Wird's Nicht" erfüllt leider die Message des Songtitels. Textlich wirken die doppelten Böden zudem immer durchsichtiger: Ironie, aber nur so halb, weil ein wenig stimmt es halt – Herzschmerz und Sozialkritik haben die zwei drauf, bei allem anderen wird es rasch krampfig.
Man könnte fast schon hässig werden, wie der Schwyzer sagt, wenn man "Von Der Ewigkeit". Wie spielend leicht die beiden Schweizerinnen hier einen Bastard aus Porcupine Tree und Afghan Whigs produzieren, ist fast schon eine Gemeinheit, ebenso das grandiose Gitarrenspiel zum Ende hin.
Beim Closer "Ich Blibe Und Du Gahsch" klingen die Stimmen so unendlich viel emotionaler als in den gefühlt 20 Fillern zur Mitte dieses Albums. Ein großartiger Track, auf dem sehr viel weniger passiert als auf dem Rest des Albums und doch exponentiell mehr transportiert wird. Wenn es den Dialekt braucht, um das hervorzukitzeln, dann bitte, wo ist das Problem, es funktioniert woanders doch auch?
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