laut.de-Kritik
Wer alle Sounds haben will, hat gar keinen Sound.
Review von Yannik GölzKann man dieses Album erklären, ohne die letzten zehn Jahre Sun Diego-Diskurs erlebt zu haben? Man muss wahrscheinlich dabei gewesen sein. Versuchen wir es trotzdem: 33 Tracks, fast zweieinhalb Stunden Musik, die mit einem zehnminütigen und einem zwanzigminütigen Song anfangen, auf dem sich ein Storyteller über den Holocaust mit 2011-Technikrap-Doubletimes und einem Pöbel-Part als Spongebob Schwammkopf verkleidet abwechseln. Klassisch ukrainischer Gesang, Club-Rap, ein Dutzend Beschwörungen der eigenen Mafia-Verbindungen, Amirap-Bites und eine Drill-EP.
"Yellow Bar Mitzvah" ist nach allen objektiven Standards ein wunderliches Album. Es dockt fast nirgends an die restliche Szene an, versucht sich aber an beinahe jedem Sound. Die Songs scheinen mal von 2022, mal von 2015, mal von 2008 zu stammen und besitzen auch keinen wirklichen inneren Zusammenhang. Wie kann eine Platte, auf der so viel passiert, so langweilig sein?
Das Hauptproblem scheint mir: Wer alle Sounds haben will, hat gar keinen Sound. Diego vergleicht sich mit Drake, T-Pain und G-Eazy, er möchte offensichtlich nicht nur die Technik-Kredibilität wie ein Kollegah, er möchte auch die Pop-Hits, die Refrains für die Charts und die Balladen für die große Öffentlichkeit. Aber man kann sich nicht für den deutschen T-Pain halten und dann durch die Bank so mittelmäßige Hooks schreiben. "Kosher Money Gang", "Gebe Keine Fs", "NMD", "Ehrenmann", "Falsche Fuffis", wieder und wieder verbergen Schichten an Effekten uninspirierte Melodien in uneleganten Sound-Designs. Auch an Drake-Sounds scheitert er. Zum einen, weil Drake niemals auf so Vibe-losem Schund wie diesen Digital Drama- oder Johny Illstrument-Beats rappen würde, zum anderen, weil wir in Deutschland an Drake oft nicht verstehen, dass da durchaus mehr Persönlichkeit und Humor in Drake steckt als: "Ich reich, ich viel ficken."
Sunny versteht das genauso wenig wie Fler oder Jamule, die alles Mögenswerte an Drake in ihrer zweidimensionalen Imitation verloren gehen lassen. Songs wie "Shootingstars" oder "Gebe Keine Fs" wollen Diego als erfolgreichen, reichen Player mit Geld wie Heu und all den Frauen verkaufen. Nichts davon zündet irgendeine Reaktion bei ihm. Kein Pathos, keine Begeisterung, keine Paranoia, kein Schmerz. Er rappt Rap-Klischees immer noch wie in RBA-Runden, als wäre eh klar, dass es alles Bullshit ist, den man nur aufzählt, weil er gerade ins Reimschema passt.
Und damit kommen wir zu einem anderen wichtigen Punkt: Können wir die Idee in Rente schicken, Wie-Vergleiche und Humor seien ein und dieselbe Sache? Ja, Diego rappt ein paar gute Wie-Vergleiche auf diesem Album. In den drei Trilliarden Lines waren bestimmt ein oder zwei Sechzehner an soliden Punchlines versteckt. Aber wenn er nicht gerade Wie-Vergleiche rappt, labert er so vehement die gleiche Scheiße, dass man vor Langeweile aus den Latschen kippt. Das fängt schon mit dem exzessiven, quasi unhörbaren "Apocalyptic Endgame" an.
Kürzen ist eine große Kunst. Ich bin nicht prinzipiell gegen 25-minütige Rapsongs. Aber gerade im Mittelteil spürt man, wie er darum ringt, irgendetwas zu erzählen zu finden. Ich habe einen ganzen Artikel darüber geschrieben, in dem ich die größten Fillerlines dieses Songs aufgezählt habe. Und ich verstehe wirklich nicht, wie man bei diesen Song irgendwo bei der Viertelstunden-Marke sitzen kann, der Beat wechselt zum x-ten Mal vom Regen in die Traufe, und er rappt Nonsens wie: "Nutte, meine Legacy eine Legendensaga wie Tempelmagier / Kein random Gelaber über Fendi, Prada" oder "Wir sind Wellemacher so wie Che Guevara / Mit mehr Ballermänner als im Juventus-Kader / Ficke deine gammelige Mutter weg vor den Augen deines Pennervaters auf dem Campinglager". Hört ihr wirklich diese lieblos hingeschlonzten Reimketten ohne jeden Sinn und denkt euch 'Hammer ja, echter Rap ist zurück'? Ich fühle mich, als wäre ich irgendwo bei Minute 38 von Ekos "1000 Bars", nur dass Eko hier weder charmant noch unterhaltsam ist.
Eigentlich müsste jeder Part, der noch zusätzlich an einen langen Song geheftet wird, doppelt und dreifach rechtfertigen können, warum er die Bonuszeit wert ist. Dieses Album hat es stattdessen zum Prinzip erhoben, das wirklich jeder Sound-Fetzen, der im Studio entstanden ist, seinen Weg auf das Endprodukt finden muss. Es gibt ein paar gute Parts, es gibt ein paar solide Beats, das Sample auf "Squid Game" klingt cool, soundmäßig gelingen ihm zumindest auf "Blood, Sweat & Tears", "Ha-Satan" und "Gegen Uns" gute Songs. Aber diese Lichtblicke sind so verschüttet zwischen musikalisch fragwürdigem Filler, dass sie wie Glücksgriffe klingen. Auch textlich: Da sind gute Punchlines auf diesem Album, auch wie er seine Oma, seine Mutter und seinen Sohn adressiert, klingt stellenweise regelrecht sympathisch und nahbar. Warum muss ich mich durch 400 Iterationen derselben Lines über seine ach-so-coolen libanesischen Banden-Freunde wühlen, um sie zu hören? Die Geschichte vom jüdischen Underdog zum Gangsterboss-Rapstar hören wir in uninspiriert aufgegossenen Zweizeilern ungefähr eine Million mal. Es ist ein Fillerline-Massaker. Er hätte nur einen guten Freund mit einem Rotstift gebraucht, und dieses Album hätte solide sein können.
Man sollte ja auch meinen, dass gerade der Aspekt des Jüdischen ihm so viel Interessantes in Deutschland zu erzählen geben müsste. Und er spielt in den besten Momenten mit dieser Idee. Das "Hava Nagila"-Sample macht auf "Rostov On Don" musikalisch einen der coolsten Momente, aber auch auf Songs über seine ukrainische Herkunft oder Familie wie "Flieg Mit Mama", "Happy Hanukkah" und "Mama Mazel Tow" bleibt sie fast immer eher eine Requisite. Die eigentliche Erzählung im Kern dieses Albums ist: Ich kam von unten nach oben. Ich bin reich jetzt. Selbst den Tod seiner Verwandten kann er nicht berappen, ohne wieder und wieder auf den eigenen Reichtum zu verweisen. Es ist dieselbe neoliberale Leistungs-Ideologie, die schon Kollegah zur Kernthese des Gangster-Raps erklärt hat. Schlimmer noch als dass sie dumm ist, ist dass sie langweilig ist. Selbst wenn er sie aufregend erzählen würde, wäre sie nicht mehr spannend. Wir haben diese Geschichten gehört. Wieder und wieder und wieder.
Und das ist das letzte Problem mit diesem Album. Was ist nun eigentlich der Selling Point? Wenn es einfach nur beeindruckend performter Technikrap sein sollte, dann hätte irgendjemand die fünftausend Füllerlines streichen müssen. Aber was sollen dann all die Möchtegern-Fashionista-Songs mit den Drake-Beats, was sollen die Club-Hits? Was soll die Drill-EP, was sollen die zunehmend absurden musikalischen Elemente? Warum will Diego gleichzeitig ein Gangsterboss im Schwammkostüm, ein antisozialer Club-Rapper und ein Fashionista ohne gute Outfits sein?
Das Ding mit Sun Diego ist nicht, dass man sich fragen sollte, warum er diese Musik macht, sondern für wen er Musik macht. Sun Diego macht Musik für die Überreste der JBB-Bubble. Er hat eine moderat große, vor allem aber sehr eingeschworene und inselhafte Fanbase aufgebaut, die immer noch glaubt – und vor allem ihn glauben lässt - er sei dieser quasi unfehlbare Alleskönner. Und damit stehen wir wieder am Anfang: Ein Außenstehender würde dieses Album gar nicht anhören. Wir sprechen von dem Mann, der Gangster-Rap im Spongebob-Kostüm macht. Dieses Album setzt voraus, dass man ihn ohnehin schon für den Größten hält. Es kann Vielseitigkeit nur an die verkaufen, die absolut keine Vergleichswerte haben. Denn würde man sich mit seinen Vorbildern auskennen, würde man ja einfach die hören.
Mein liebster Moment auf "Yellow Bar Mitzwah" ist übrigens, als er sich auf "Apocalyptic Endgame" bei Biggie, Tupac, Eazy-E und einem Dutzend anderen Amirappern dafür entschuldigt, wie schlimm die deutsche Szene sei. Aber tatsächlich vereint dieses Album doch so vieles, das deutschen Rap je belastend gemacht hat: absurde Image-Gimmicks, ein völliges Überschätzen davon, wie wichtig Reimtechnik ist, dreistes Biten von amerikanischen Sounds, unangenehme Verflechtung mit organisierter Kriminalität, ein völliges Fehlen von musikalischem Feingefühl oder einem Ohr für Atmosphäre. The gang is all here! Und wenn man nicht schon viel zu tief in seinem Kosmos drinsteckt, gibt dieses Album auch nicht die leiseste Chance, noch einen Zugang zu finden. "Yellow Bar Mitzvah" ist wie die zwölfte Staffel einer Show, die lange abgesetzt gehört. Die Elemente verflechten sich ohne Sinn und Verstand, alles steht nebeneinander, weil man es von früher kennt. Kein Wunder deshalb auch, dass ein halbes Dutzend Songs hier Sequels zu alten Spongebozz-Titeln darstellen. Aber selbst, wenn man durch den Dschungel an Mythos, Referenz und Selbstverweis durchblickt: Im Kern von alledem ist absolut nichts. Es ist ein leeres, langweiliges Album, das ungeschickt Sounds um eine abgedroschene, lange schon auserzählte Geschichte spannt.
18 Kommentare mit 17 Antworten
"Mit mehr Ballermänner als im Juventus-Kader"
Juve hat zurzeit die wenigsten Tore von den Top10 Clubs der Serie A
Hat Sun Diego einen guten Song? Erinnere mich immer nur an die doubletime autotune geschwängerten Songs zu ZHT3 und Bossaura Zeiten. Die Schwammkopf-Songs (das so etwas überhaupt funktionieren kann) habe ich mir gar nicht angehört und einen okayen Modus Mio Song hatte er meine ich.
„Ich hab die krasseren Bars und du hast Wie-Vergleiche / die sind ziemlich scheisse wie Wie-Vergleiche.“
So wahr. Warn noch nie geil, wenn sie nicht irgendwie Sinn ergeben haben mit der Line (nein, damit meine ich nicht erzwungene Kollegah Wortspiele)
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Gegenthese: Die waren ein Stilmittel wie jedes andere auch, das man mehr oder weniger geschickt, gewitzt etc. nutzen kann. Erst seit Kollegah das hierzulande (insbesondere anfangs virtuos) gefühlt durchgespielt hat und seine weniger versierte Gefolgschaft (und leider auch er selber) immer bemühter versucht, noch das letzte bisschen Überraschung aus der Nummer zu pressen, ist das zuerst unerreichbar geworden und dann nach und nach in so eine Schmuddelecke abgedriftet. Bin gespannt, ob und ggf. wann da mal wieder eine Normalisierung stattfindet.
top rezi.
Ist eigentlich allen Verteidigern noch nie aufgefallen, dass die Battlerap-"Karriere" ihres Lieblingskünstlers auf einer eiskalten Lüge basiert und gar nicht mal so renommiert ist, wie sie immer tun. Wen hatte er als Gegner? Das Battle gegen Ahmed war in meinen Augen das einzige, wo er wirklich einen vernünftigen Gegner hatte. Wer kam danach? Greeen, der im VBT nicht mal wirklich über die VRs hinauskam und danach zweimal Gio, auch nicht wirklich der stärkste Battlerapper und von Julien stärker gepusht, als seine Skills hergaben.
Wie steht Spongebozz im Verhältnis zu einem Weekend, Splifftastic oder vielen anderen VBT-Rappern, die Battles im zweistelligen Bereich bestritten haben und gegen viele wirklich starke Gegner ranmussten? Das Ding ist, Sun Diego hat am Ende nur gewonnen, weil es Julien von Anfang an wollte. Man sieht es ja auch daran, wie hart und oft Julien bei dem Schwamm ein Auge zugedrückt hat bei Dingen, die er bei anderen kritisierte. Man denke an Juliens willkürlich gefassten Begriff von Zweckreimen oder die Tatsache, dass nach Gios King-Finale auf einmal Videos verboten waren, die länger als 10 Minuten gingen.
Ich habe vor kurzem einen Blick auf den JBB-Channel geworfen. Gott, war das ein Witz. Man hätte es einfach lassen können. Nach 2018 war die Luft komplett raus.
Ich finde das Album insgesamt nicht so schlimm wie die meisten hier, trotzdem wirkt es in den meisten stellen einfach "langeweilig".
Der 1000. "Daytona" auf "Range Rover" Reim haut mich ehrlich gesagt halt einfach nicht mehr um. Ebenfalls klingt Sunny sehr oft auch einfach unmotiviert, als ob er das Album nur macht, damit er nichtmehr von seinen Fanatischen Fans belästigt wird. Schwache 3 von 5.
ich muss mich korrigieren, 1 von 5.