laut.de-Kritik
Mit Post-Punk, Folk und Soul am Puls der Zeit.
Review von Philipp KauseGeraume Zeit nach dem letzten selbst geschriebenen Material der "Luka"- und "Tom's Diner"-Autorin meldet sich Suzanne Vega um einiges rockiger zurück als ihre Singer/Songwriter-Kollegin Heather Nova neulich. "Flying With Angels" taktet mit einem beherzten Plädoyer für die Meinungs- und Versammlungsfreiheit über den symbolischen "Speakers' Corner" in London auf. Sie arbeitet sich weiter zum New Wave und Folkpop ausbalancierenden Titelstück vor.
Vegas Platte entstand unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine. In "Witch" spricht die New Yorkerin Suzanne die Situation eines (Über-)Lebens in steter Angst, "in constant fear", zu rauen Riffs an. Die fernländisch angehauchte Ballade "Last Train From Mariupol" handelt von der im Februar 2022 belagerten Hafenmetropole Mariupol, einer strategisch wichtigen Stadt im Süden der Ukraine. Sie ist inzwischen von Russland annektiert, also einverleibt, obwohl ukrainisches Terrain und ein Binnenmeer sie umgeben.
Mit der folkloristischen Gestaltung, die nach Eurasien klingt, hat sich die Komponistin gut in ihr Thema hinein gefühlt. Vega verwendet im Text eine starke Metapher: Gott habe sich im letzten Zug befunden, der aus Mariupol wegfuhr. Eine Zeitlang tuckerte dort keiner mehr, weil die Russische Föderation das umgebende Land selbst bekriegt und sich für mehrere Monate durch Zerstörungen selbst den Weg abschnitt. Womit Vega einigermaßen deutlich auf die ganze Dämlichkeit von Putins Feldzug eingeht, von der er selber überwiegend Nachteile hat. Der Bahnhof war lange eine Ruine, ebenso waren es die Verbindungsbrücken. Inzwischen hat Russland eine Art 'Seebahnhof' erbaut. Die Sängerin spricht hier einen inzwischen eher selten aufgeworfenen Punkt an, aber eine der zentralsten Fragen unserer Zeit: Inwieweit das Argument der geostrategischen Interessen überhaupt logisch diesen Krieg erklären kann. Denn solche Absurditäten machen es nicht gerade plausibel. Da können Talkshow-Experten lange lamentieren - sie beantworten Vegas Frage nicht.
"Jeder Song auf dem Album spielt sich in einer Atmosphäre des Kampfes ab", kommentiert die legendäre Liedermacherin: "Kampf um das Überleben, um das Sprechen, um die Beherrschung, um den Sieg, um die Flucht, um jemand anderem zu helfen", so die 65-Jährige. Das post-punkige "Rats" schildert das dreckige Leben der Ratten und ihren Kampf um die Existenz im Untergrund der städtischen Kanalisation. Die scharfe Hookline "Survival of the fittest is never very pretty (...) welcome to this urban life" lässt sich als klarer Abgesang auf die neoliberale BlackRock-Welt und die brutale Wohnungsknappheit in Großstädten lesen. Auch hier tastet die Künstlerin den Puls der Zeit.
In "Love Thief" lässt sich eine kaum entdeckte soulige Seite an Suzanne Vega feststellen. Produktionstechnisch erweist sich dieser Soul-Ansatz zwar als ein wenig holprig, aber doch charmant. "I am the love thief / and I'm coming for you" singt sie, und das Lied lockert gegenüber härteren Schlägen angenehm auf, wie sie etwa in "Lucinda" folgen. Vega als Blue Note-Voice passt zwar stimmlich nicht so recht, wirkt aber in dieser einmaligen Form interessant und erfrischt. Einen konkreten Soul-Bezug stellt sie in einem anderen Liedtext her, in dem dann der Name Dusty Springfield fällt.
Dass die Synthie-Dominanz im Mainstream der 80er-Jahre gebrochen wurde, verantwortete Suzanne Vega bereits mit ihren frühen Hits "Marlene On The Wall", "Left Of Centre" und "Book And A Cover" maßgeblich mit. Sie machte die Storyteller-Gitarre wieder cool. Jetzt zieht sie souverän und kurzweilig durch ihre zehn recht unterschiedlichen Stücke durch, die ein überraschend abwechslungsreiches und dynamisches Album formen. Dass es als Konzeptwerk ersonnen ist, scheint am Rande durch, dabei ist es sogar ein reichlich kluges. Alle Lieder kommen rasch auf den Punkt und finden zügig ihren Ausgang. Somit weckt die Platte Hunger nach mehr. Das ist ein sehr gutes Zeichen.
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