laut.de-Kritik
Englands Rap-Nachwuchs gewinnt 4:1. Mindestens.
Review von Alexander Engelen"Am Ende gewinnt immer Deutschland!". Das Zitat des englischen Stürmerstars Gary Lineker ist mittlerweile so aus der Mode gekommen wie Fußballmetaphern bei Hip Hop-Reviews auf laut.de insgesamt (Remember good ol' Johannesberg!). Zu Recht. Denn derartige Weisheiten treffen zu oft daneben, bei unseren Kickern wie im gesamteuropäischen Hip Hop-Zirkus. Um den Kreis zu schließen: Rap aus England ist dank Dizzee Rascal, Kano, Lady Souvereign und Konsorten groß wie nie zuvor, während es in Deutschland so weit kommt, dass Fettes Brot als "Best Hip Hop-Act" beim Echo ausgezeichnet werden. Von Newcomern, die auf internationalem Parkett etwas reißen, keine Spur. Beim Spiel mit dem runden Leder vertraut Deutschland noch auf hoch gelobten Nachwuchs. Hip Hop-technisch erlebt aber Großbritannien das Schweinsteiger/Podolski-Fieber.
Neuester Verteter: Sway aka Little Derek. Vermummt wahlweise im Union Jack-Tuch bzw. in der Ghana-Nationalflagge rollt Sway bereits auf dem Opener "This Is My Demo" so was von über die Gehörnerven, dass nur noch sein innovativer Rapstyle den akuten Schockzustand verhindern kann. Doubletime-, gar Trippletime-Passagen gehen lang gezogenen Endsilben voraus, und trocken gespacete Synthiebässe brechen dem knackigen Beat mir nichts dir nichts das Bass-Rückrat. Nach Kanos "Home Sweet Home" der zweite Openertrack, der mich vor der englischen Hauptstadt auf die Knie fallen lässt. "L.O.N.D.O.N / The city that never sleeps so how do we dream?" Lieber Sway, wer braucht Schlaf, wenn man zu deinem Sound bis in die Morgenstunden den Arsch bewegen kann?
Dabei ist es ja nicht so, dass Sway auf seinem zum größten Teil selbst produzierten Debüt zwangsläufig die Durchdreh-Pranke schwingen muss. Schon das zweite Stück "Products" ist als Reggae'esque Downtempo-Nummer wunderbar unanstrengend und ein willkommene Abwechslung, bevor auf "Hype Boys" die Synthies wieder verrückt spielen. Einer Sinus-Kurve folgend schunkelt "Little Derek" wieder auf einer fast zu langweiligen Pop-Welle. Wäre da nicht Sways gemein sympathischer Style, der die Nummer zum Vorzeigewerk Londoner Furchtlosigkeit in Sachen Rap-Technik adelt. Einfach mal jede Endsilbe um zwei Oktaven nach oben gezogen und locker den Preis für den Style des Monats eingeheimst.
Mutig und sympathisch, genau wie die Interludes, die Sway zwischen die, Grime-typisch, eher anstrengenden Stücke packt. Etwa eine Anekdote aus der Jugend des jungen Kofi Annans, die westafrikanischen Nummer Eins-Hitsingle "I Married Her Just For A Visa" oder Sways erster Versuch beim Matratzensport.
Weitere Highlights geben sich mit ausufernder Style-Vielfalt die Klinke in die Hand. Mal der "Pretty Ugly Husband", rotzig und frech, dann in "Flo Fashion" und cooler als jede Platinum Kreditkarte. Bei Sway heben nicht einmal die ewigen Inhaltsfanatiker drohend den Finger. Der Rapper erzählt echte Geschichten. "Download" erklärt sich von selbst (auch was den Sound angeht), "This Is My Demo" thematisiert das nicht ganz einfache (Über)Leben im urbanen Dschungel, und "Back For You" schmachtet einfach nur herrlich klebrig vor sich hin.
Die letzte Frage ist einmal mehr: Woher zum Teufel bekommt London seinen Nachwuchs? Es nimmt mittlerweile schon beängstigende Formen an, mit welcher Konstanz überdurchschnittliche Rap-Alben von kompromisslosen Mitzwanzigern (wenn überhaupt!) die britischen Inseln verlassen. Und im Gegensatz zu unseren jungen Kickern haben diese Jungs nicht einmal bescheuerte Frisuren!
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