laut.de-Kritik

Knapp daneben ist auch vorbei.

Review von

Wir leben in einer Zeit, in der Popstars nicht mehr einfach nur Musik für die breite Masse liefern. Ein Popstar bedient nicht mehr nur einen bestimmten Sound, sondern auch eine bestimmte Ästhetik und entwickelt eine öffentliche Persona, auf der im Grunde alles aufbaut. Die Fanbase, die Live-Shows, die Videos, das Merch und natürlich auch die Musik selbst. Wer in der Popkultur nicht nur ganz nach oben, sondern dort auch bestehen will, braucht eben auch Langlebigkeit. Ja es gibt Ausnahmen wie Dua Lipa, aber einem Artist, der einem eine echte Person verkauft, so nahbar oder abgehoben sie auch sein mag, verzeiht man ein Flop-Album deutlich eher als der nächsten Marionette der Industrie, die nur noch dem Takt der Executives tanzt. So steht etwa der raketenhafte Erfolg einer Chappell Roan den stagnierenden Karrieren einer Ava Max oder einer Rita Ora gegenüber.

Seit langer Zeit sitzt Tate McRae mit den letztgenannten Sängerinnen am selben ecken- und kantenlosen Tisch. Auch wenn die Zahlen nicht lügen und die Kanadierin mittlerweile in der obersten Riege mitspielt, fehlt da einfach das letzte Quäntchen. Was genau? Schwer zu sagen: Nahbarkeit, Authentizität, Charisma, Mut, Swagger. Wahrscheinlich ist es am Ende von allem ein bisschen etwas. "So Close To What" will das ändern, aber passt als Titel ironischerweise hervorragend, denn so nah wie hier war McRae tatsächlich noch nie dran, zu den aktuellen Vorreiterinnen des Genres aufzuschließen, nur bleibt sie ultimativ eben weiterhin in deren Windschatten zurück.

Man findet auf ihrem dritten Album keine großen musikalischen Überraschungen, aber die aktuell noch weitgehend ausgelassene Nische des frühen 2000er Britney-Sounds bespielt sie hier und da durchaus gekonnt. Gerade der öffnende Stretch hält einige Songs bereit, die mit Pop-Brillanz nicht länger nur flirten, wie es ihre vorherigen Outings gerne taten, sondern sich das Prädikat durch und durch verdienen.

Der Opener "Miss possessive" setzt einen moody Start, in dem McRaes Falsetto über sommerliche Steeldrums bounct. Die verführerische Stimmung der Hook macht Platz für einen stampfenden Post-Chorus, die Bilder von bösen Blicken, geplatzten Kaugummiblasen und klackernden Heels kommen da von ganz alleine. "Sports car" knüpft später daran an und liefert eine absolut großartige Hook, die mit ihrem geflüsterten Tongue-in-cheek Dirtytalk ein Level an Charisma bringt, das die Musik der 21-Jährigen zuvor weitestgehend zu vermissen ließ. Es ist auch einer der wenigen Songs der LP, der sich musikalisch etwas traut. In Ryan Tedders Produktion kommen Spuren von Timbaland und vergangener 2000er Pop-Greatness durch. Auch wenn das Instrumental sicherlich keine Bäume ausreißt, kommt das Spiel mit anderen Klangfarben als Pastellpink und Alpinaweiß Tates Gesang zugute.

An anderer Stelle trumpft die LP wiederum mit so starkem Songwriting auf, dass der durchweg nach wie vor oftmals austauschbare Vortrag nicht weiter schmerzt. "2 hands" und "Dear god" sind wasserdichte, nahezu perfekt geschriebene Pop-Songs. Gerade "Dear god" kommt mit gefühlt vier verschiedenen Hooks um die Ecke, von der sich eine hartnäckiger als die andere ins Ohr wurmt. Es scheint schwer vorstellbar, dass selbst eine Sängerin mit deutlich mehr Reibungsfläche noch mehr aus diesen Melodien herausholen könnte als die Kanadierin.

Songs wie diese machen Hoffnung, dass selbst ein neutraler, no-bullshit Popstar wie McRae unter den richtigen Rahmenbedingungen ein starkes Album liefern könnte, nur gibt einem diese LP nur wenig Anhaltspunkte, wie diese Rahmenbedingungen überhaupt aussehen sollen. Ja, "Sports car" und "Dear god" stechen klar hervor, aber will man deshalb auch gleich ein ganzes Album davon?

Das Album scheitert jedoch ohnehin, dieses Qualitätslevel aufrechtzuerhalten und hat noch größere Probleme, außerhalb dieser Highlights eine klare Identität zu finden. Selbst nach mehreren Durchläufen gibt "So Close To What" keine klare Antwort darauf, was denn nun ein Tate McRae-Song ist, und wie er klingt. Wie überdurchschnittlicher, Mischmasch-Pop fürs Radio, ist das Beste, was mir dazu einfällt. Klar gibt es Ausreißer nach oben, aber über die volle Laufzeit trösten die nicht darüber hinweg, dass hier immer noch viel zu viel uninteressant und regelrecht banal daherkommt. Die gesamte zweite Hälfte kämpft damit, auch nur eine Hook zu finden, die hängen bleibt, ein Instrumental, zu dem man sich bewegen möchte ("it's ok I'm ok" kommt nah dran), oder eine Stimmung einzufangen, die einem in irgendeiner Form Emotionen abverlangt.

Stattdessen kriegen wir mausgraue Pop- und R'n'B-Pastiche, die nicht wirklich negativ auffallen, aber eben auch von nahezu jedem anderen Artist stammen könnten, der diese Sounds bedient. "Like I do" klingt zum Beispiel nach einem mediokren SZA-Ripoff, die Hooks von "Signs" nach einem von Selena Gomez schwächeren Momenten, "bloodonmyhands (feat. Flo Milli)" wiederum wie ein zahnloser PinkPantheress-Song, und mit "Means I care" sind wir dann endgültig wieder auf dem Rita Ora- und Bebe Rexha-Level angekommen, bei dem man eigentlich jede Sekunde damit rechnen muss, dass Produzent Ryan Tedder seine Jungs von OneRepublic für ein Feature von der Leine lässt.

So dreht man sich bei der Rezension von Pop-Alben dieser Qualität immer ein wenig im Kreis, denn das meiste, was man den Alben jener Artists ankreidet, trifft auch auf dieses Outing zu. Auch wenn McRae vergleichsweise ein wenig mehr Ambition sowie deutlich besseres Songwriting an den Tag legt und ein Charisma andeutet, das manche Songs aufwertet, bleibt "So Close To What" ein weiterer Schnelldurchlauf vergangener und aktueller Trends, der in einigen wirklich starken Popsongs resultiert, aber ultimativ daran scheitert, die Silhouette des Stars in seinem Mittelpunkt mit ausreichend Farbe zu füllen.

Trackliste

  1. 1. Miss possessive
  2. 2. 2 hands
  3. 3. Revolving door
  4. 4. bloodonmyhands (feat. Flo Milli)
  5. 5. Dear god
  6. 6. Purple lace bra
  7. 7. Sports car
  8. 8. Signs
  9. 9. I know love (feat. The Kid Laroi)
  10. 10. Like I do
  11. 11. it's ok I'm ok
  12. 12. No I'm not in love
  13. 13. Means I care
  14. 14. Greenlight
  15. 15. Nostalgia

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