laut.de-Kritik
Sympathischer Cut mit der Vergangenheit.
Review von Philipp KauseTeesy setzt auf Balladen und reduzierte Arrangements. "Kein Künstler" ist ein besinnliches und behutsames Album. Der norddeutsche Soulpop-Sänger möchte sich aus dem Musikbusiness zurückziehen. Wenn die LP schon "Kein Künstler" heißt: Wie wird man Künstler? "Das könn nich viele, so zu schreiben, so zu denken / Das könn nich viele, groß zu zu bleiben, ohne Grenzen / Das könn nich viele, immer zu sich zu stehn / Was viele wirklich könn, das haben viele nie gesehn."
Zu zarten Tupfern am E-Piano beantwortet sich die Frage ein bisschen. "Man kann sich selbst belügen, wenn man den Arsch nicht hoch kriegt und nie was probiert", deutet in dem Kontext an, Teesy bilanziere eigene Erfolglosigkeit. Weiter heißt es in "Das Könn Nich Viele": "Vergiss es, lass dich los, und fang neu an!"
Fakt ist: Der 32-Jährige hat in der schmalen Nische von Soul, R'n'B und Funk auf Deutsch einen wiedererkennbaren Sound erschaffen. Einen Teesy-Song erkennt man sofort als solchen. Außer Max Herre, Joy Denalane, Maxim, Edo Zanki, Stephan Eicher hatte es da nicht viele gegeben, bis er im Cro-Hype anfing, Stevie Wonder-Vibes (siehe "Alicia"), Gospel- und Jive-Elemente ("Du Fängst Mich Auf"-Intro) mit seinen Charakterzeichnungen zu verbinden.
Um Neuanfänge geht es, ironisch, auch in "Rauchen": "Ich hör auf und fang nie wieder an!" Zwei Jahre Abstinenz vom Nikotin beschreibt er als Teufelsaustreibung, den Raucher als "gefedert und geteert". Das Lied schildert in einem sanften Arrangement den Weg vom zerknirschten Entschluss, doch vielleicht mit dem Rauchen aufzuhören, den das lyrische Ich nach dem Wegwerfen jeder Schachtel neu trifft, über den harten Einstieg in den Entzug, bis zur geglückten Entwöhnung. Poetisch und sensibel und in inneren Monologen berichtet Teesy: "Der erste Tag war Hölle, der zweite ging schon mehr, am dritten wurd ich fast wieder schwach, und der vierte schmerzte schwer. Am fünften dacht ich noch, dass ich niemals ohne kann."
Ähnlich wie dieses Lied folgt das Album keinen Moden. Es gibt keine Songs über die Pandemie, es gibt keine Trap-Beats, trotz aller verwendeten Plug-In-Tools. Laut Produkt-Text gilt sogar: "Er spielt Drums, Klavier, Gitarren und Bässe selbst ein. Keine Libraries, Loops", dennoch hört es sich nicht un-technologisch an. So oder so, die Sounds wirken stimmig, auch in emotionaler Hinsicht. Selbst wenn manche Intros (z.B. von "Over" ) ein bisschen Upbeat signalisieren, bleibt der Grundton von "Kein Künstler" still, leise, ruhig - schnell ist nur "Zeichen".
"Leben ist kalt und zeigt mir die Schatten" referiert Teesy in Gospel-Intonation über warme Keyboard-Akkordwellen und dezenten Drum'n'Bass-Beats. Innere Leere, innere Dämonen, innere Widersprüche - "Kein Künstler" ist ein Themenalbum über Selbstbetrug, Rollenspiele, Überforderung, Abschiede und Perspektivenwechsel. Die schön durchgezogenen Falsett-Phasen, langen Töne und Lautmalereien machen aus den stets hoch transponierten Lead Vocals eine ästhetische Perfomance der persönlichen Krisentexte, das Gesamtkonzept aus Teesy den deutschen Chris Brown, freilich mit weniger Reichweite.
Mehr als die Melodien bleiben oft Formulierungen haften, zum Beispiel "Dreh den Drecksfilm ab / bis der Regisseur nich mehr Action sagt. Kann nich mehr / aufhö-hö-hö-hörn." Dass Teesy hier recht konsequent in seiner Leidenschaft für afroamerikanische Musikgeschichte schwimmt und seine Bahnen auf Albumlänge durchzieht, wirkt sympathisch. Die sweeten, leicht-melancholischen Harmonien und die geschmackvolle, fein dosierte Sound-Gestaltung unterstützen die Aussagen: Der Kampf mit sich selbst lässt sich beim Hören plastisch vorstellen.
Sogar die mittelguten Stücke, denen der große Melodie-Einfall fehlt wie etwa der sommerlich-luftige Funk-Groover "Karma", strahlen rhythmisch viel aus, und sind gut anhörbar. Besonders schöne Tracks: "Over", "Rauchen" und der Oleta Adams-verwandte Titeltrack "Kein Künstler". Im Unterschied zum Vorgänger "Tones", liegt die große Stärke der Scheibe jetzt vor allem im Tiefgang und der Greifbarkeit der Texte, bis zum philosophischen Song über die "Wahrheit". "Kein Künstler" fühlt sich wie eine wahre, authentische Offenbarung an.
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