laut.de-Kritik

Neil Young nahm die Zwillinge einst unter seine Fittiche.

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"Downtown" startet konventionell: Erst setzen Akustikgitarre und Bassline ein, das Schlagzeug folgt. Und doch strömt wenige Akkorde später warmes Herzblut aus den Boxen. Wie genau die Kanadierinnen - nicht (klang-)verwandt mit Alanis Morrisette - aus einfachen Mitteln so viel machen? Das bleibt auch auf Platte Nummer drei ihr Geheimnis. Des Rätsels Lösung versteckt sich irgendwo hinter den außergewöhnlichen Stimmen von Tegan und Sara Quin, die intensiv von zerbrochenen Beziehungen erzählen.

Vor fünf Jahren nahm Neil Young das Geschwisterdoppel aus Calgary unter seine Fittiche. Und noch viel länger schreiben sich beide in ihren Schlafzimmern den Liebesfrust von der Seele. Die in Heimarbeit enstandenen Demos dienten auch bei "So Jealous" als Grundlage für die Albumproduktion. Wirklich lo-fi klingen Tegan und Sara aber nicht, wenn sie zwischen Melancholie und Wut die Gitarrensaiten mal streicheln, mal verdreschen. Die Schwestern tourten gemeinsam mit Songwritern wie Rufus Wainwright und Ryan Adams, begleiteten aber ebenso die tanzbaren Indie-Rocker Hot Hot Heat und The Killers. Auch der neue Longplayer präsentiert sich als zweistimmiger Schmelztiegel aus Folk, Alternative Pop und dezenter Wave-Beigabe mit Melancholieüberzug.

Die Lieder erzählen davon, wie erstarrt am Fenster zu sitzen und sehnsüchtig zu den Sternen aufzublicken: "I sit still all night" heißt es im besagten "Downtown", während im Hintergrund leise einige wenige Orgeltasten angeschlagen werden, und: "I only get up for you". Ihre Schlaflosigkeit nutzen die Zwillinge indes kreativ aus und bannen Verlangen in songgewordene Kleinode. Ihr Leben scheint eine einzige Beziehungskrise, die aufgestauten Gefühle brauchen ein Ventil. Vorwürfe, Musik nur des Geldes wegen zu machen, trotzen Tegan und Sara im unmissverständlichen Rockreigen "We Didn't Do It".

In "Where Does The Good Go", bei dem nicht nur die Basslinie an Eurythmics erinnert, leiden sie ob der Unsicherheit, wirklich geliebt zu werden. Findet er mich noch attraktiv? Stören ihn meine Fehler? Die Schwestern wissen ja ganz genau, dass ihre Eifersucht und die ständigen Zweifel alles nur noch schlimmer machen: "I can't stop talking for fear of unwelcome sound", diagnostizieren sie in "You Wouldn't Like Me".

Es hilft alles nichts, die Beziehung zerbricht. Die Trennung im Offbeat-Stück "I Bet It Stung" zitiert die Indie-Ikonen von Guided By Voices. Über 13 verzerrte Sekunden dehnt sich der dramatische Nachruf "Goooo! Gooo awaaaay!". Umso schmerzvoller, dass sie trotzdem immer noch Gefühle füreinander haben ("I Know I Know I Know"). Im großartigen M.C. Sar & The Real McCoy-Zitat "Walking With A Ghost" huscht der Ex wie ein Gespenst durch Kopf und Herz, sphärische Synthie-Flächen untermalen das Geisterthema. "You're out of my mind!", rufen Tegan und Sara mantraartig ins Leere. Doch der Selbstbetrug funktioniert nicht.

Was also hilft gegen die quälenden Erinnerungen? Ein Tapetenwechsel! Deswegen verlassen die Zwillinge im Titeltrack den heimischen Keller und starten mit Europe und Unterstützung durch Ex-Weezer Matt Sharp an der Moog den finalen 80er-Hallen-Countdown. Statt sich kampflos der Trauer zu ergeben, setzen sie mit "I Won't Be Left" dem Selbstmitleid einen Haken ans Kinn. Wollten die Kanadierinnen anfangs noch bei der Hand genommen und geführt werden ("Take Me Anywhere"), bestimmen sie in der zweiten CD-Hälfte selbst die Richtung. "Tell me, where do we go?" wüten Tegan und Sara im Punknoise-Stil der Vorgänger-Single "I Hear Noises", während die Stimmen Hochzeit feiern.

Trotzdem bleibt Melancholie im Herzen und das Happy End aus: "What do I need to do to see myself in a better mood?" Liebe ist alles, was sie zu geben haben, singen die Schwestern im choralen Britpopper "Fix You Up". Und vergessen dabei völlig "So Jealous", das 45 Minuten authentischen, unpeinlich dargebotenen Liebesschmerz enthält.

Trackliste

  1. 1. You Wouldn't Like Me
  2. 2. Take Me Anywhere
  3. 3. I Bet It Stung
  4. 4. I Know I Know I Know
  5. 5. Where Does The Good Go
  6. 6. Downtown
  7. 7. I Won't Be Left
  8. 8. Walking With A Ghost
  9. 9. So Jealous
  10. 10. Speak Slow
  11. 11. Wake Up Exhausted
  12. 12. We Didn't Do It
  13. 13. Fix You Up
  14. 14. I Can't Take It

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