laut.de-Kritik

Genau so wollten viele Mädchen später auf der Bühne stehen.

Review von

In den 70ern mischen Bands wie Gang Of Four, Blondie und Television mit ihrem Post-Punk und New-Wave-Style die Mainstream-Szene auf. Diese Welle surfen damals auch die famosen The B-52's, allerdings mit ihrem ganz eigenen Klang-Universum. Die fünf Studenten aus Athens, Georgia (wo auch R.E.M. herkommen) lieben das Außergewöhnliche und haben ein Faible für extravagante Kleidung. Sie präsentieren einen frischen Style aus New Wave, schrillem Retro-Look (50s meets Sci-Fi) und freundlichen Pop-Tanz-Stücken. Anfangs noch wenig beachtet gelten sie heute als die größte Partyband aller Zeiten. Und das hat nichts mit Ballermann und Idioten-Techno zu tun.

Ihr wunderbares gelbes Erstlingswerk bleibt bis heute ihr bestes Album. Die insgesamt neun Songs sind absolute Party-Hits. Die Texte betonen immer wieder die Eigenart und Ironie dieser kreativen Truppe. Die unvergleichliche Mischung aus Rock'n'Roll, Punk und Popmelodien spiegelt das unverkennbare Plattencover, eine bearbeitete Fotografie des amerikanischen Künstlers George DuBose, dem Haus-und-Hof-Fotograf der Ramones. Hände, Füße und Gesichter sind fotografiert, die Kleidung nur aufgedruckt. Ein Kunstwerk, das in jedes gut sortierte Plattenregal gehört.

Kate Pierson (Gesang, Orgel, Keyboard, Gitarre), Cindy Wilson (Gesang, Gitarre, Percussion), ihr Bruder Ricky Wilson (Gitarre bis 1985), Fred Schneider (Sprechgesang, Keyboard, Walkie-Talkie) und Keith Strickland (Schlagzeug, Percussion, Gitarre) gründen recht spontan und leicht verkatert bereits 1976 die Band und benennen sich nach den hochtoupierten Bienenkorb-Frisuren (B-52's). Diese sind bald das Markenzeichen der beiden Sängerinnen, die wegen ihrer schrillen Optik, aber vor allem wegen ihrer tollen Stimmen und weiblichen Präsenz große Vorbilder für viele Teenies in den 80ern darstellen. So wollten viele Mädchen später auf der Bühne stehen.

Der tanzbare Groove der Band und die Vorliebe für fantasiereiche Texte sind bereits auf dem spacigen Opener "Planet Claire" zu hören. Ein großartiges Intro aus einem lauter werdenden Morse-Code, der sich mit einem groovigen Rhythmus-Beat aufbauscht und weitere Weltraum-Töne und schrille Keyboard-Akkorde vereint, die charakteristisch sind für den Sound von The B-52's. Der groovige Gitarrenlauf zitiert die Titelmelodie der Krimiserie "Peter Gunn" (1958), die von Henry Mancini (Filmmusik zu Der rosarote Panther) komponiert wurde. Erst nach 2:30 Minuten setzt Freds Stimme ein. Selten war ein instrumentaler Einstieg so einprägsam und außerirdisch gut. Und natürlich ist die Luft auf dem B-52's-Planeten pink, die Bäume sind rot und alle laufen ohne Kopf herum. Magic!

"Effie, Madge, Mabel, Biddie / See them on the beach or in New York City / Tina, Louise and Hazel and Mavis / Can you name, name, name, name them today" ... Ja, die Mädchen-Namen von "52 Girls" kann man heute noch locker aufzählen. Hier singen Cindy und Kate in der ersten Reihe und läuten die Rock'n'Roll-Party ein. Die Surf-Gitarre paart sich mit der wuchtigen 60's-Girl-Punk-Power. Und dann öffnet die Disko erst richtig ihre Liebespforte. In "Dance This Mess Around" kreischt Cindy mit voller Inbrunst ins Mikrofon: "Why don't you dance with me, I'm not no Limburger". Die Zeile ist legendär und immer wieder gern zitiert - je größer der Herzschmerz, umso schriller die Töne und euphorischer die Tanzparty. Die Monotonie prägt sich ins Gedächtnis ein. Bäng!

Mit dem Smash-Hit "Rock Lobster" geht zwar die A-Seite zu Ende, aber die Tanzfläche verlässt noch keiner. Diese Hymne begründet den Kultstatus der Band. Der 1977 in Eigenregie aufgenommene Titel sorgt für zunehmende Aufmerksamkeit, optisch kennt die Trash-Kunst keine Grenzen mehr. Die Videos mutieren immer mehr zu kurzweiligen B-Movies. Es fiepst, es scheppert, es wird gefeiert. Das "rockende Krustentier" beschert ihnen sogar einen Auftritt im legendären Punk-Club CBGB's. Der infektiöse Sound lässt niemanden mehr los und entführt in eine andere Dimension. Weltraum trifft auf Strandbewohner. Irre Zeilen, flotter Beat und ein verrücktes Stimmen-Ping-Pong erreichen am Ende ihren Höhepunkt. Kreisch!

Etwas ruhiger geht es zunächst mit "Lava" weiter: "My love's a lava bomb / Knock you in the head". Die Keyboard-Disco und astrologische Faszination erfolgt mit dem nächsten Stück "There's A Moon In The Sky (Called The Moon)". Da heißt es so treffend: "If you in outer space / don't feel outer place / cause there are thousands of others like you". Es ist also vollkommen ok, anders zu sein. Eine simple Aussage mit tiefgehender Bedeutung. Denn das macht auch diese Band so besonders. Stimmen und Keyboard duellieren sich in ihren höchsten Frequenzen. Ist es Mensch oder Maschine? Schreng!

Mit "Hero Worship" spielen die B-52's dann eine fast schon klassische Rocknummer - nur mit Schlagzeug, Gitarre und Bass. Cindy singt alleine und ihre Stimme steigert sich immer mehr zu einem verzweifelten Kreischen! Ein hervorragendes Stück, das unbedingt mehr Aufmerksamkeit verdient.

Im Zeitalter von Handys hat man fast keine Telefonnummern mehr im Kopf. Höchstens die von der Familie und natürlich die von The B-52's "6060-842". Wenn Sie eine gute Zeit haben wollen, dann wählen Sie diese Nummer. Aber bitte beachten Sie: "This is an imaginary phone number and any similarities to this number are purely coincidental." Mit einer wunderbar punkigen Version des 60's-Hit "Downtown" (Petula Clark) geht der verrückte Space-Trip zu Ende. Zumindest, was das Debüt angeht.

Es folgen noch viele weitere wunderbare Hits, wie "Party Out Of Bounds" und "Private Idaho" vom Nachfolgealbum "Wild Planet" (1980). Die Sound-Party wird zwar von einem schweren Schicksalsschlag unterbrochen (1986 ziehen sich The B-52's für einige Jahre zurück, als Cindys Bruder und Gründungsmitglied Ricky Wilson stirbt) – tauchen dann aber mit neuer, positiver Kraft 1989 wieder auf und feiern mit "Cosmic Thing" ihr erfolgreiches Comeback. "Love Shack" und "Roam" stürmen die Charts - sehr spät klingelt dann endlich auch die kommerzielle Kasse.

Ihr Debütalbum bleibt aber etwas Besonderes, ein Feuerwerk der guten Gefühle, jeder Song hat seinen eigenen Glanz. Und auch Jahrzehnte später haben The B-52's ihren Glamour nicht verloren. Immer noch auf Konzertreise, immer noch wild, mitreißend und allzeit bereit für Paaaaaaaaaaaaarty!

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Planet Claire
  2. 2. 52 Girls
  3. 3. Dance This Mess Around
  4. 4. Rock Lobster
  5. 5. Lava
  6. 6. There's A Moon In The Sky (Called The Moon)
  7. 7. Hero Worship
  8. 8. 6060-842
  9. 9. Downtown

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