laut.de-Kritik
Immerwährende Jugend im Sommerschlussverkauf.
Review von Christoph DornerDie ziemlich allwissende Musik-Datenbank Discogs zählt sage und schreibe 222 verschiedene Compilations mit Musik der Beach Boys. Eine gigantische Release-Welle, von der heute nur noch der Staub in Plattenläden kündet. Denn viele dieser Hit-Zusammenstellungen wurden einst auf Vinyl veröffentlicht und für die nationalen Musikmärkte einer noch nicht vollständig globalisierten Popwelt über die Jahre immer ungenierter neu miteinander kombiniert.
Schließlich hatten die Beach Boys nicht einfach nur leichtherzigen Surf-Pop anzubieten, sondern dazu auch ein wohliges, unpolitisches Lebensgefühl vom sorglosen Leben im sonnigen Kalifornien, von immerwährender Jugend und frischestem Verliebtsein. So wertkonservativ die Beach Boys vordergründig auch waren, so revolutionär agierte Brian Wilson im Studio. Siehe: "Pet Sounds".
Es ist nicht einfach nur Sixties-Romantik, die die Beach Boys bis heute verkaufen. Es ist das uneingelöste Versprechen einer perfekten Pop-Musik. Das wirkt nach. Die erste wirklich hochoffizielle Best-Of-Sammlung war 1966 parallel zum Meilenstein "Pet Sounds" erschienen. Was die Jüngeren nicht unbedingt wissen: Es war bereits das elfte Studio-Album, das die Beach Boys, diese Familienbande von Vater Murrys Gnaden, in nur vier Jahren auf den Markt geworfen hatten.
Mit nachlassender Produktivität des sensiblen Genies Brian Wilson folgten schnell die Best Ofs Vol. 2 und Vol. 3, später leidlich originelle Titelschöpfungen wie "Endless Summer", "Made in U.S.A." oder "Ultimate Christmas" und auch gleich mehrfach die Super-Superlative "The Very Best Of" und "All-Time Greatest Hits".
Gleichwohl hatten insbesondere Carl Wilson und Mike Love, der mäßig talentierte, aber geschäftstüchtige Cousin, die Beach Boys auch ohne den Brian Wilson bis in die späten 70er-Jahre als knuffige Elder Statesmen eines Westcoast-Soul im Geschäft gehalten.
Erst dann wurde die Betriebsamkeit der Band vom Hit-Recycling der Plattenfirma überflügelt, die als Nachlassverwalter zuletzt "Classics Selected by Brian Wilson", "The Platinum Collection" und "The Original US Singles Collection" aus dem Hut zauberte. Unter anderem.
Braucht es also kurz nach den mit ergrautem Haar erwarteten und gerade deshalb so ernüchternden Release von "The Smile Sessions" wirklich noch eine hübsch aufgemachte, musikalisch essenzielle (für sich betrachtet: Fünf von Fünf) und doch völlig sinnentleerte Compilation mit "Surfin' U.S.A.", "I Get Around", "Fun, Fun, Fun", "Good Vibrations"?
Ja, aber sicher. Der Grund ist allerdings weniger ein soundtechnischer, denn ein pophistorischer. Bei Capitol Records legt man zwar großen Wert darauf, dass das karriereumspannende Doppel-Album "50 Big Ones" (ein Album der Beach Boys hieß einst "15 Big Ones") neben zwei Songs vom einhellig bespöttelten, seelenlosen Comeback-Album "That's Why God Made The Radio" mit einigen eigens remasterten Stereofassungen daherkommt. Wohlgemerkt, einige.
Denn "50 Big Ones" wirkt nicht nur in seiner gleichgewichtigen, aber mutlosen Tracklist, die einzelne Alben zwar ansatzweise bündelt, aber dennoch zwischen Schaffensperioden hin und her springt, unentschieden. Auch der Flickenteppich aus alten, von Brian Wilson ausgetüftelten Mono-Aufnahmen und neuer und neuester Stereo-Mixe führt die gerade unter komplettierungswütigen Sammlern propagierte Fetischisierung von alten oder neuen Klangspektren ad absurdum.
Überhaupt bleibt bis heute einigermaßen unschlüssig, warum warum man den tollen Mono-Sound der Beach Boys, der so unauslöschlich mit der Gründerzeit des Pop verknüpft ist, soundtechnisch unbedingt ins 21. Jahrhundert überführen muss. Um Geld zu verdienen, logisch.
Was ohnehin in erster Linie als emotionales Kaufargument hervorgehoben werden soll, ist das 50-jährige Jubiläum der Beach Boys, zelebriert mit einer Welttournee im "Classic Lineup". Wie es um diese Gemeinschaft allerdings wirklich bestellt ist, offenbarte unlängst die Meldung, dass Mike Love die Urmitglieder Brian Wilson und Al Jardine nach Ende der gemeinsamen Tour wieder vor die Tür gesetzt hat, um bei Konzerten mit "seinem" späteren Lineup mehr Kohle oder zumindest Aufmerksamkeit für sich herauszuschlagen.
Insofern darf "50 Big Ones" nicht einfach nur eine exzellente Songsammlung sein. Es ist auch der etwas tragische Arbeitsnachweis einer wiederholt an sich selbst gescheiterten Band, die ihren Mythos - Sisyphos gleich - in einem ewig währenden Sommerschlussverkauf verhökern muss.
1 Kommentar
Ich mochte damals das Aaron Carter Cover von Surfing USA, der Hit im Kindergarten.