laut.de-Kritik
Die Magie der frühen Jahre.
Review von Michael SchuhMan hat Paul McCartney sicher nicht gefragt, ob er eventuell Einwände hege, wenn man nur wenige Wochen nach seinem aktuellen Studioalbum "New" mal wieder auf "Old" umschaltet und eine Doppel-CD voller Beatles-Kamellen unters Volk jubelt.
Der 71-Jährige hat sich daran gewöhnt, mit dieser 'Last' zu leben, er weiß, dass die Fab Four schon vor langer Zeit allgemeines Kulturgut geworden sind, ihre Lieder den Händen der Schöpfer entrissen und in eine museale Scheinwelt verfrachtet worden sind, die den alltäglichen Pop-Betrieb, in dem auch er noch munter mitwirkt, überstrahlt.
Selbstverständlich wurde McCartney über die Veröffentlichung in Kenntnis gesetzt und es sagt genügend über sein Legenden-Standing aus, dass er und nicht der zur fratzenartigen Peace-Zeichen-Mumie erstarrte Ringo Starr darum gebeten wurde, ein Vorwort fürs Booklet anzufertigen. Und Sir Paul erinnert sich gerne: "Aus diesen BBC-Aufnahmen höre ich vor allem Energie. Glaube und Energie, so würde ich diese Aufnahmen betiteln. Wir waren heiß, scherten uns um nichts und wollten schlicht und ergreifend die besten Auftritte unseres Lebens aufs Parkett legen."
Damit ist schon die erste Kollektion an BBC-Aufnahmen aus dem Jahre 1994 glänzend umschrieben, die seinerzeit mit fünf Millionen verkauften Exemplaren in nur sechs Wochen eventuell die Archivierlust für die noch erfolgreichere "Anthology"-Reihe bei allen Beteiligten erst herauskitzelte. Damals dachte niemand an einen zweiten Teil der legendären Tonaufnahmen beim britischen Staatsradio, da alles qualitativ ansprechende Material aufgebraucht war.
Beatleologen wunderten sich jedoch schon damals, wie es sein kann, dass diese rund 60 Songs den ganzen Rest der insgesamt 275 BBC-Auftritte darstellen sollen, die die Beatles zwischen März 1962 und Juni 1965 absolviert haben. Hierzu gibt es nun eine Geschichte, die das altgediente Establishment der Radio-Nachkriegsära bestens vergegenwärtigt: Lange gingen die BBC-Verantwortlichen nämlich davon aus, dass es sich bei den Beatles um Eintagsfliegen handele, so dass unzählige Masterbänder ihrer Studioauftritte nach der Übertragung gelöscht wurden.
Doch Produzent Kevin Howlett ließ nicht locker und da er es sowieso als seine Lebensaufgabe ansieht, sammelte er in aller Seelenruhe über die Jahre zahlreiche Livetracks von Menschen an, die damals die BBC-Shows am eigenen Radiogerät mitgeschnitten hatten. Mit den technischen Möglichkeiten der Klang-Optimierung von heute wurde "Live At The BBC Vol. 2" dann erneut zu einer Doppel-CD (bzw. 180g 3-Vinyl-Set).
Vorliegende Version ist ein Doppelpack mit der damaligen 2CD-Veröffentlichung, die nun ebenfalls nochmal klanglich aktualisiert wurde. Nach wie vor ist es ein großer Spaß, den Kurzinterviews zu lauschen, wo der gestelzte Ton der gelernten Radiomoderatoren dem groben Akzent der dauerwitzelnden Liverpooler Rocker seltsam gegenübersteht.
Die Songs an sich kennt man von den Jungs natürlich so gut wie alle, ausgenommen Chuck Berrys "I'm Talking About You" und den Bing Crosby-Klassiker "Beautiful Dreamer". Doch darum geht es eigentlich nicht. Wie auf dem ersten Teil finden sich auch hier viele Rock'n'Roll-Nummern ein, die die Band gar nicht für Studioalben vorgesehen hatte. Songs, mit denen man den Cavern Club oder die Reeperbahn Anfang der 60er auseinander genommen hatte.
Die Faszination dieser Kollektion liegt somit darin begründet, die glorreichen Vier in neuen Versionen bekannter Hits wie "I Saw Her Standing There", "Twist And Shout" oder "Please Mister Postman" zu hören. Oder in eher unbekannteren Balladen wie "Misery" oder "This Boy" einen längst nicht mehr notwendigen Beweis dafür zu finden, warum beim Zusammentreffen dieser vier Arbeiterkinder vor mehr als 50 Jahren Magie im Spiel gewesen sein muss.
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