laut.de-Kritik

Avantgarde? Art-Punk? Oder einfach nur der absolute Wahnsinn?

Review von

Ist es Avantgarde? Art-Punk? Oder einfach nur der absolute Wahnsinn? The Monochrome Set lassen sich nicht so einfach festlegen. Die englische Band hält sich an keine musikalische Regel. Regelmäßige Plattenveröffentlichungen? Muss nicht sein. Mut zur Lücke im Songrepertoire. Die Texte mit Tendenz zur Rätselhaftigkeit. Umso wichtiger, diese Band noch einmal gesondert hervorzuheben, deren Bekanntheitsgrad aus genannten Gründen eher Indie-Liebhabern vorbehalten ist.

Zu den großen Platten der New Wave-Ära zählt sicherlich das Monochrome Set-Debüt "Strange Boutique", die es im Erscheinungsjahr immerhin auf Platz 62 der UK-Album-Charts schafft. Jeder, der die Musik von The Strokes, Franz Ferdinand oder anderen englischen Gitarren-Pop-Bands im Regal stehen hat, sollte sich bitte durch das komplette Kunstwerk hören.

Ende der 70er gründen sich The Monochrome Set in London. Sänger und Gitarrist Bid ist der außergewöhnliche Songschreiber. Der Sound ist mal hibbelig schnell und mal melancholisch ruhig, eine Mischung aus diversen Punk-, Pop-, Rock- und Psychedelic-Elementen. Der Opener "The Monochrome Set (I Presume)" ist ein wildes Dschungel-Intro mit Tiergeräuschen, straightem Schlagzeug-Beat und konträren Gitarren-Riffs von Lester, die zusammen zu einer quirligen Melodie verschmelzen. Dann setzt der unverkennbare Gesang ein, die typisch-tiefe Stimme von Sänger Bid und dem passenden Background von Gitarrist Lester Square, dessen Pseudonym natürlich den Punk-Place-To-Be in London, Leicester Square, spiegelt. Die Single "The Monochrome Set" erschien bereits ein Jahr zuvor auf Rough Trade Records und ist neben "Eine Symphonie des Grauens" ein Hit im Indie-Kosmos.

"The Lighter Side Of Dating", eine schnellere Punk-Wave-Nummer mit Psychedelic Rock-Avancen, erinnert aufgrund ihrer Keyboard-Vibes an das Kreischen von The B-52's. Die Melodie verführt zum Tanzen, der Text lässt einen erstmal Erstarren. Aber hey, das ist doch Bid. Der schreibt nun mal keine konventionellen Texte. Das kann auch schon mal düster und irgendwie schräg ausfallen, auch wenn der Sound und Titel Gegenteiliges vermuten lässt: "Miss Universe is not averse to bisexuality / I think abortion is a caution and I like to ski / Arab strap, 10' erection / Vacuum pumps and padded pants / Carrot juice fort he complexion."

Mit dem "Espresso"-Song kommt man dann so richtig in Schwung und genießt die Ska- und Boogie-Rhythmen. In The Monochrome Set stecken jede Menge Melodien, die sich nachhaltig festsetzen. Das funktioniert auch ohne Gesang ganz gut. "The Puerto Rican Fence Climber" schlendert gen Sonnenaufgang. Spanischer Flamenco setzt sich hier instrumental auf der Tanzfläche durch und weckt das Fernweh in dir.

The Monochrome Set packen alles rein. 50s meets 60s meets 80s. Somit trifft sich auch der gute alte Rock'n'Roll und der jamaikanische Reggae in "Martians Go Home". Liebe und Schmerz waren nie so wirklich Thema. Man betrachtet eher die düstere Seite des Lebens und sorgt mit einer guten Portion Ironie für ein phantasiereiches Text-Spektakel. So auch in "Love Goes Down The Drain". Schwarzer Humor von seiner schönsten Seite, eingepackt in eine fröhliche Candy-Pop-Melodie. Fans von Jonathan Richman und The Modern Lovers sollten es lieben.

Bid und Lester sind zwar das Aushängeschild der Band, aber ohne Bassisten Andrew Warren (ehemals Adam & The Ants), Keyboarder Bob Sargeant und Schlagzeuger John D. Hane wären sie nicht komplett. Cool und straight komponieren die smarten Dandys ihre Stücke und bleiben stets ihrem ausgewogenen Stil treu, auch wenn das nur im Schatten der kommerziellen Charts funktioniert. Die Pop-Hymnen-Qualität, die sie von Album zu Album immer wieder verfeinern, verbunden mit dem direkten, englischen Sarkasmus in Bids Texten sind die auffallenden Merkmale der Gruppe.

Bei "Ici Les Enfants" könnte es sich um ein französisches Drama handeln, trotz spanischer Gitarrenklänge. Eine Film- oder Theateraufführung zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Im Refrain säuselt Bid: "Ici Les Enfants Du Paradis". Abermals sind die Worte düster und anzüglich. Lolita lässt grüßen und wieder ist man, wie bei so vielen Textstellen, am Ende irritiert. Schnelle Gitarren, zahlreiche Akkorde und unangekündigte Pausen mitten im Stück führen ebenso mitunter zu Irritationen. Das Keyboard stets aufgeregt und energetisch.

Der ruhigste Moment auf der Platte ist "Goodbye Joe". Da breiten sich Emotionen aus und man wird fast schon melancholisch. Doch so manche Textpassagen entführen in den tiefen, surrealen Underground. "Watching him from the back row / Oh, and in bed he looks so wonderful / Sucking chocolate in Pepsi Flow." Ein catchy Höhepunkt zum Finale ist der Titelsong "Strange Boutique", eine glorreiche Post-Punk-Hymne. Den Basslauf hätten Joy Division nicht besser hinbekommen. "I wanna be your devil / I coat your liver with lard / In cash or cheque or in credit card."

Bis heute klingt "Strange Boutique" frisch und modern. Eingängige Melodien, die schon lange massentauglich sind, aber seit 1980 eben nie die Indie-Tanzfläche verlassen haben. Auch wenn die Jungs schon immer auf den kommerziellen Erfolg geschissen haben, ist es nie zu spät, The Monochrome Set lieben zu lernen. Support the real band!

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. The Monochrome Set (I Presume)
  2. 2. The Lighter Side Of Dating
  3. 3. Espresso
  4. 4. The Puerto Rican Fence Climber
  5. 5. Tomorrow Will Be Too Long
  6. 6. Martians Go Home
  7. 7. Love Goes Down The Drain
  8. 8. Ici Les Enfants
  9. 9. The Etcetera Stroll
  10. 10. Goodbye Joe
  11. 11. The Strange Boutique

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LAUT.DE-PORTRÄT The Monochrome Set

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4 Kommentare mit einer Antwort

  • Vor 7 Jahren

    Interessantes Debüt einer Kultband, wenn auch kein herausragendes Album. Die Musik konnte nach Television, Wire, Magazine, Joy Division und Co. einfach zu wenig eigene Akzente setzen, deshalb kommt die Review auch nicht ohne Vergleiche aus. Es ist jedoch unüberhörbar, dass Morrissey und andere Indie-Rocker von Monochrome Set inspiriert wurden.
    Im Bereich Post-Punk-Geheimtipps würde ich aber eher "Jeopardy" von The Sound oder das großartige "Underwater Moonlight" der Soft Boys empfehlen.

  • Vor 7 Jahren

    Ich hab mir tatsächlich vor einer ganzen Weile in meinem Lieblings-CD-Laden blind ein Album von ihnen geholt, "Cosmonaut" hieß das. Das finde ich bis heute ziemlich cool, hab mich aber nie durchringen können, mir mal den Background dazu zu geben. Und siehste, wieder ne Geschichte verpasst. Aber dann werde ich mir das hier auch mal zu Gemüte führen, scheint ja doch alles ziemlich cool zu sein

  • Vor 7 Jahren

    Schon ein gutes Debut, das die Richtung vorgeben sollte. Der direkte Nachfolger ist aber ausgereifter und einfach eine ganze Klasse besser.

  • Vor 7 Jahren

    Erinnert mich stark an das Debütalbum von 1984, vor allem der Sänger.